Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Freitag, 25. November 2011

Erinnerungen an den Dorfkrug in Stombeck

Betty Schweichler 1938
Von verschiedenen Lesern meiner BLOG-Beiträge wurde ich gefragt, was denn in einem ostpreußischen Dorfkrug früher so getrunken wurde. Meine vor einiger Zeit erschienenen Geschichten über den Dorfkrug in Stombeck beleuchten weit in der Vergangenheit liegende Zeitumstände. Interessant ist aber auch, wie die Leute z. B. in den 1930er Jahren gelebt und gefeiert haben. Hierzu habe ich als Zeitzeugin meine Mutter befragt (Betty geb. Schweichler *1932 in Stombeck). Das hat sie berichtet:

Das Getränkeangebot:
Das Bier kam aus Königsberg-Ponarth. Die Bierflaschen trugen auf dem Verschluss die Signatur JPS (Brauerei Johann Philipp Schifferdecker). Im Volksmund hieß die Abkürzung auch: „Jeder Ponarther säuft“. Für den täglichen Bedarf gab es Flaschenbier. Zu größeren Veranstaltungen wurden Bierfässer bestellt.

Nicht-alkoholische Getränke:
Zitronen-Brause und Himbeer-Brause (mit echtem! Geschmack)
dunkles Bier/ Malzbier

Hochprozentiges - hauptsächlich von Teucke & Koenig aus Königsberg:
Korn
Rum (überwiegend für Grog)
Weinbrand (trank man gern mit einem Zuckerwürfel und Kaffeebohne)
Charlotte & Kurt Schweichler
Königsberger Kümmel

Wein und Sekt – nur für besondere Veranstaltungen

Liköre:
Königsberger Kaffeelikör
Aprikosen-Brandy
Kirsch mit Rum
Escorial Grün
Pfefferminzlikör
Bärenfang
Danziger Goldwasser

Neben den regelmäßigen Festen (Pfingsball, Feuerwehrfest, Fischerball) gab es Familienfeiern im Krug. Hochzeiten fanden hier statt, weil die privaten Wohnverhältnisse oft nicht ausreichten für viele Gäste. Für solche Feste wurde das Getränkeangebot den Wünschen der Gäste angepaßt und besonderes eingekauft. Dann gab es z.B. Sekt und Wein, aber auch „feinere“ Liköre, die im üblichen Alltagsgeschäft kaum nachgefragt wurden. Außerdem wurden Musiker und Aushilfskellner engagiert. Falls etwas von den feinen Fest-Getränken übrig blieb, bereicherten sie das alltägliche Angebot.

Die idyllische Lage des Kruges direkt am Haffufer lockte im Sommer auch Gäste von außerhalb an. Übernachtungsmöglichkeiten wurden jedoch nicht angeboten. Aber gelegentlich ließ mein Großvater junge Leute in der Scheune im Heu schlafen, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß auf Tour waren.

Außerdem verkauften meine Großeltern im bescheidenen Umfang sogn. Colonialwaren und Naschereien, die auf dem Lande nicht selbst produziert werden konnten. Im Krieg wurde der Verkauf eingestellt, weil meine Großmutter die umständlichen Bezugsscheinformalitäten und Markenzählereien zu aufwändig für den nur nebenbei betriebenen Verkauf fand. Sie mußte sich ab 1942 um die ganze Wirtschaft allein kümmern, bekam "Fremdarbeiter" für die Landwirtschaft zugewiesen und fröhliche Feiern im Krug waren grundsätzlich verboten. Wegen der Behandlung der Fremdarbeiter gab es gelegentlich bedrohliche Auseinandersetzungen mit Parteigernegrößen, denen der familiäre menschlichen Umgang meiner Großmutter mit ihren Arbeitern nicht paßte. Man schaute gelegentlich überraschend vorbei und verprügelte die harmlos am Feierabend beieinander sitzenden Leute. Offenbar war man nicht zufrieden, wenn nicht überall Angst und Schrecken herrschte. Tragisch, daß der Initiator dieser Schlägereien ein Schwager meiner Großmutter war. Der politische Riß ging quer durch die Familie.

In den Kriegsjahren war das Angebot an Likören stark eingeschränkt (nur mit Bezugsschein). Bier und Korn konnte man wohl ohne Beschränkungen ausschenken. Gelegentlich gab es Sonderzuteilungen von Rotwein aus Frankreich.

Im Januar/Februar 1945 flüchtete die Familie des parteitreuen Schwagers aus Lobitten rechtzeitig in den sicheren Westen. Meine Großmutter erhielt aus der Richtung aber keinen Hinweis, keine Warnung, gar nichts, obwohl das ganz einfach per Telefon möglich gewesen wäre. Die Familien SCHWEICHLER aus Stombeck und SEDDIG aus Willkeim erlebten wie viele andere Bewohner die Schreckensjahre von 1945 bis Herbst 1948 im russisch besetzten Ostpreußen.

Auf der Beerdigungsfeier von Onkel Franz in Oldenburg/Holstein (Franz Bojahr 1888 – 1974, verheiratet mit Frieda geb. Schweichler, Schwester meines Großvaters) gab es noch Teilnehmer, die sich scherzend damit rühmten, sie hätten meinen Großvater, den Krüger Kurt Schweichler (1902 - 1999), einstmals auf einem Fest in Stombeck „blankgesoffen“: sämtliche Sektbestände sollen geleert worden sein. Es klang nach einer vergnüglichen, feucht-fröhlichen Erinnerung.

Erinnerungen. Mehr ist nicht geblieben. Stombeck existiert nicht mehr.


Der Krug in Stombeck, in der Mitte stehend Kurt Schweichler. Direkt hinter den am rechten Bildrand sichtbaren Bäumen bzw. hinter dem nördlichen Giebel des Kruggebäudes befindet sich das Haffufer.

Die ca. 10 Wohngebäude am Haffufer in Stombeck wurde in den 1970er Jahren aufgegeben und nach und nach abgetragen. Heute findet man nur noch mit Mühe einige Reste von Grundmauern.

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