Die Familie von Bergen in Wilditten (Samland, Ostpreußen)
In dieser curioesen Geschichte wird berichtet, welche Anordnungen der Große Kurfürst in Berlin wegen eines verstorbenen Königsberger Studenten 1667 erlassen hat, dessen Schulden noch nicht beglichen waren und wie daran ein Stück Familienschicksal und -geschichte aufgerollt werden kann.
Der Student heißt Christoph von Bergen. Er stammt aus dem Dörfchen Wilditten im Amte Caymen im Samland und verstarb auch dort, wie es heißt „zu Weihnachten“, als er das nötige Geld von zu Hause besorgen wollte, um die fällige Schuld zu begleichen. Das klingt fast nach einem Entwurf für einen schaurigen historischen Kriminalfall. Sehen wir nun genauer hin: auf die Orte des Geschehens, die beteiligten Familien, die historischen Umstände... Was geben die Akten her? Welches Finderglück ist mir im Staatsarchiv beschieden gewesen?
Wenn man die Landstraße von Königsberg in nordöstlicher Richtung nach Labiau fährt, findet man Wilditten, wenn man nach etwa 20 Kilometer beim Dorf Nautzken rechts abbiegt. Nach einem knappen Kilometer in Richtung Caymen führt der Landweg durch Wilditten.
Heutzutage ist in der kleinen Ortschaft nur noch ein Haus stehen geblieben (auf der rechten Seite des Weges von Nautzken aus gesehen). Vom zweiten Hof auf der anderen Straßenseite ist nur ein Ziegelhaufen erkennbar.
Jene Kriegsdienste, die oft noch aus mittelalterlichen Ordenszeiten mit dem Besitz verbunden gewesen sind, werden in neueren Zeiten kaum noch gefordert. Die für die Landesherrschaft tätigen Amtmänner haben oft versucht, den Cöllmern andere Abgaben und Pflichten als Ersatz für die nicht mehr üblichen Kriegsdienste aufzuerlegen, was regelmäßig entrüstete Proteste ausgelöst hat. Die Proteste sind nicht immer erfolgreich gewesen, so daß der privilegierte Stand der Cöllmer in vielen Fällen in die Nähe gewöhnlicher Bauern herabsank. Mit Bauern werden im damaligen Sprachgebrauch Besitzer von Land bezeichnet, die ihr Land und die Gebäude jedoch nur zum Bewirtschaften erhalten haben, also keinesfalls auch Eigentümer sind. Oft ist ihnen zur Bewirtschaftung auch sogn. Besatz zur Verfügung gestellt gewesen. Damit sind Arbeitsmittel, Vieh, Saatgut und dergleichen gemeint. Für diese Lebensgrundlage haben die Bauern recht hohe Abgaben zu erlegen gehabt. Außerdem haben sie Dienste auf anderen Ländereien des Grundeigentümers leisten müssen, sogenanntes Scharwerk. Im Gegensatz zu den Cöllmern und Freyen sind die Bauern unfrei und an die ihnen zugeteilte Scholle mit den Scharwerksdiensten gebunden gewesen. Im Gegenzug haben sie von ihren Grundherren die Leistung von Fürsorgepflichten bei Mißernten oder Feuerunglück erwarten dürfen. Der Status der unselbständigen Bauern wird sich erst mit der Preußischen Landreform nach 1807 ändern.
Zurück nach Wilditten: der 1667 im Besitz der Familie von Bergen befindliche Hof hatte eine Größe von 4 Huben, was nach heutigem Maß etwa 65 Hektar entspricht. Die erste urkundliche Erwähnung über diesen Besitz datiert von 1528. Ich fand sie im sogn. „Grünen Hausbuch“ des Amtes Schaaken. Dieses Buch ist eine Art Grundbuch und das älteste seiner Art im Amte Schaaken. Dort heißt es im Original: >> Von gotts genaden Wir Albrecht Marggraff zu Brandenburg In Preussen zu Stettin Pommern der Cassuben und wenden Hertzogk Burggraff zu Nurnbergk und fürst zu Rügen Bekennen und thun kunt fuer uns unser Erben und Nachkomen gen Idermennigklich diß unsers Brieffes Ansichtigen, das wir vorlihen und vorschriben habenn verleihen und verschreyben unsernn liebn getrauen Merten vom Berge seinen ehelichen erben und nachkomlingen sechs hocken In felde zu Wiltitten gelegen An Acker wysen weldenn puschen und pruchern Als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset frey von lehenden und peurlicher Arbeit zu Magdeburgischen rechten Erblichen und Ewigklichen zu besitzen darzu wir ihm geben dreyßick margk wehrgeldes von sunderlichen genadenn verleyhen wir dem ehegenanten Merten seinen rechten ehelichen erben und nachkomlingen die gerichte beyde groß unnd klein binnen seinen grentzen und über seine leuthe Ausgenumen strassengericht das wir uns unsern Erben und nachkomen zurichten fuerbehaltenn. Umb disser belehnung und begabung willen sol der Offtgenante Merten & seine rechte erben und nachkomlinge zu Dienst sein verbundenn myt pfferd und mith Harnisch Nach disses landes gewohnhayt zu allen Herfartenn & Lanthwehren, Neue Heuser zu bauen Alte zu brechen und zu bessernn wan wie dick und wohin si gefordert werden und sunst Alles das Ihenige thun, was ihre vorfahrenn von Alters gethan habenn treulichen und ungeferlichen zu urkundt myt unserm Anhangenden Ingesigel besigelt unnd geben zu Kennigskspergk Am tage Mattei Im xv C und Acht untzwantzigsten Jahre. << An dem Text hat man vermerkt: „diese Hantfest ist i[h]m abhendig worden, hat eine Neue, ist datiret ao 1558“
Diese Verschreibung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
Es werden als Maßeinheit sogn. Haken [im Original: hocken] genannt. Diese Maßeinheit kennzeichnet immer ursprünglich prußischen Besitz. 1 Haken entsprach 20 Morgen, während die sonst übliche Maßeinheit Huben oder Hufen 30 Morgen enthielt. Das Hakenmaß geht auf den von der prußischen Urbevölkerung genutzte Hakenpflug zurück, mit dem man weniger zu ackern geschafft hat, als mit dem Scharpflug, der von den aus dem Westen kommenden Colonisten in Preußen eingeführt wurde. Die erwähnten 6 Haken entsprechen genau 4 Huben.
Zu dem prußischen Flächenmaß paßt die Verleihung von Wehrgeld. Vor allem im Samland haben verdiente Prußen schon sehr früh Landbesitz und Status vom Ordensstaat verbindlich anerkannt bekommen. Nur in Landverschreibungen für Prußen hat es die Verleihung von Wehrgeld gegeben. In Lexika steht zu lesen, es gehe um eine Geldsumme, die bei Tötungsdelikten den Hinterbliebenen zu zahlen sei, um der Blutrache und Selbstjustiz entgegenzuwirken. Die Höhe des sogn. Wehrgeldes richtet sich jeweils nach der Größe des Besitzes.
Eine weitere Besonderheit taucht hier auf: „die gerichte beyde groß unnd klein binnen seinen grentzen und über seine leuthe Ausgenumen strassengericht das wir uns unsern Erben und nachkomen zurichten fuerbehaltenn.“ Üblicherweise haben cöllmische Güter das Vorrecht eigener Gerichtsbarkeit nicht bekommen. Es wird sonst nur adeligen Besitzungen verliehen.
"Als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset frey von lehenden und peurlicher Arbeit zu Magdeburgischen rechten Erblichen und Ewigklichen zu besitzen.“ Frei von sonstigen Lehensverplichtungen und -ganz wichtig- frei von bäuerlicher Arbeit wird hier das Land verliehen. Außerdem läßt die Formulierung „als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset“ den Schluß zu, daß es hierbei nicht um einen Neuerwerb geht, sondern um eine nachträgliche erneute Verbriefung von bereits lange bestehenden Besitzverhältnissen. Aus der hohen Zahl von überall auffindbaren Verschreibungen nach 1525 läßt sich rückschließen, daß wohl vor allem nach dem Wechsel vom Ordensstaat zum Herzogtum viele bestehenden alten Besitzverhältnisse in Preußen neu verbrieft wurden. Bemerkenswert ist an dieser Verschreibung, daß mit keinem Wort von Abgaben und Steuerleistungen gesprochen wird, was sonst in jeder üblichen cöllmischen Verschreibung, wenn auch nur in geringem Maße, aber dennoch immer genau benannt ist!
„...zu Dienst sein verbundenn myt pfferd und mith Harnisch Nach disses landes gewohnhayt zu allen Herfartenn & Lanthwehren, Neue Heuser zu bauen Alte zu brechen und zu bessernn wan wie dick und wohin si gefordert werden und sunst Alles das Ihenige thun, was ihre vorfahrenn von Alters gethan habenn...“ So heißt es üblicherweise in jeder Verschreibung von cöllmischen Gütern. Als einzige Verpflichtung gegenüber der Landesherrschaft hat man mit Pferd und Harnisch im Kriegsfalle zu erscheinen (man kann auch jemand anderes beauftragen und schicken). Größere Güter hatten gegebenefalls mehrere Männer zu stellen oder einen sogn. Warpenwagen bereit zu halten. Außerdem muß man in Friedenszeiten bei Bauten der Landesherrschaft mithelfen, Fuhrleistungen gestellen und ähnliches. Das galt in der Regel nur für in der Nähe befindliche Schlösser und Amtsbauten, in diesem Fall für das Gebiet des Amtes Caymen.
Der Status des Besitzes erscheint aus oben genannten Gründen ungewöhnlich, irgendwie schwebend zwischen adligen und „bürgerlich“ cöllmischen Geflogenheiten, gewürzt mit prußischen Besonderheiten. Die obige Verschreibung widerspricht den üblichen für Prußen ausgegebenen Urkunden durch das Prädikat „zu magdebugischen Rechten“. Prußische Rechte lassen eine Vererbung nur an Söhne zu. Töchter können den Besitz bestenfalls nur noch auf Lebenszeit nutzen, aber nicht weitervererben. Besitz ohne männliche Erben verfällt an die Landesherrschaft, wird „Caduc“, kann „caduciret“ werden, wie es in der Sprache der Zeit heißt. Magdeburgische Rechte beinhalten üblicherweise eine Vererbung „zu beyden Kindern“, an Söhne und Töchter, was in dieser Verschreibung jedoch fehlt.
Ich gehe davon aus, daß jener Merten vom Berge 1528 vom damaligen Herzog Albrecht von Preußen für seine seit früheren Zeiten angestammte Besitzung in Wilditten eine neue Verschreibung erhält. Ursprünglich handelt es sich sicherlich um Land, welches in prußischem Besitz gewesen sein dürfte (mit Prußen sind hier die Ureinwohner des Preußenlandes gemeint). Die Familie von Bergen erhält jedoch Rechte verbrieft, die sonst nur adeligen Familien zukommen und die über die prußischen oder cöllmischen Rechte unüblich weit hinausgehen.
Was gibt es noch an Belegen und Dokumenten über die von Bergen in Wilditten?
In der Praestationstabelle Nr.2 des Amtes Caymen von 1780 wird ein Gerichtstag protokolliert. Gerichtstage wurden inbesondere auch zum Ende und Neubeginn einer Amtsperiode des Amtsmannes gehalten, um alle unklaren und strittigen Verhältnisse zu lösen, aber auch, um den Einwohnern des Amtes Gelegenheit zu geben, Klagen gegen den Amtmann vorzubringen, was wahrscheinlich zu keiner Verlängerung der Dienstzeit jenes Beamten geführt hätte.
Auf dem Gerichtstag am 24ten July 1779 werden 10 strittige Fälle protocolliert, wo es meistenteils um eine rechtmäßig zu ordnende Nutzung von Ländereien geht. Einer der Fälle betrifft ursprünglich von Bergenschen Besitz:
>>Der Cöllmische Einsaaße Friedrich Siegmund Thiel, Eigenthümer des Guths Wilditten, zeiget an, wie ihm 5 Morgen Wiesen gehörten, welche bey Duhnau in dem genannten SchaarwercksBruch liegen und worüber er noch keine Verschreibung, außer das in Copia sub.B beygefundene Attestat habe, welches zwar kein Original sey, auch die Sache nicht ganz genau bestimme; allein da er und seine Vorfahren dieses Stückchen Wiese über Hundert Jahre in Besitz gehabt, so hoffe er die Verschreibung zu erhalten; Beamter so wie alle Schultzen dasiger Gegend zeugen ihm ein, daß dieser Besitz seit undenklicher Zeit bey Wilditten gewesen.<< Die oben erwähnte Copia B enthält folgendes:
>> Nach deme der Krüger zu Mettckeim Stecker und Assmann Hintz zur Duhnau eine Wiese zur Duhnau gelegen vom Albrecht von Berge GroßVater in Verpfändung bekommen, die Hälfte aber Albrecht von Berge Vater allbereit Ao [15]81 vom Assmann Hintze eingelöset vor 13 schfl Korn, die andere Hälfte bis dahero der Krüger zu Mettckeim im Bruch behalten, welche Albrecht von Berge, als deme sie zukommt, länger in Verpfändung stehen zu laßen bedencken getragen, derwegen der Krüger zu Mettckeim und Albrecht von Berge sich darum also vertragen;
Es soll Albrecht von Berge dem Krüger zu Mettckeim auf künftigen Herbst 15 schfl Roggen zur Saat geben, dagegen will er ihm jetzt bald die Wiese einräumen und solche zu seinem Besten zu gebrauchen wieder übergeben haben, weil auch der Krüger zu Mettckeim ein Schriftchen über gedachte Wiese und solche seinem Bericht nach verlohren haben soll, Als soll dieselbe hiemit, da sie künftig gefunden werden möchte, cassiret seyn und dem Krüger oder seinen Erben nichts gelten, dieser Schrift sind jedermann Parte eine unterm Amt Siegel mitgetheilet.
Actum Schaacken den 5ten May 1602, (LS) Martin Wittenberg AmtSchreiber <<
Aus diesem genealogisch aufschlußreichen Dokument wissen wir nun, daß es 1602 schon 3 Generationen hintereinander Großvater, Vater und Sohn mit Namen Albrecht von Berge auf dem Gut in Wilditten gegeben hat und daß 1779 ein Friedrich Sigmund Thiel als Rechtsnachfolger derer von Bergen auf Wilditten sitzt und das Eigentum an jenen Wiesen in Duhnau reklamiert. Was ist nun mit dem Studenten Christoph von Bergen passiert? Wie kam das Gut in Wilditten an einen Thiel? Läßt sich das alles noch rekonstruieren?
Um 1647 setzen die Kirchenbuchaufzeichnungen für die Kirche in Caymen ein. Die Eintragungen der ersten Jahre sind oft nur ungenau, schwer zu entziffern und genealogisch mit Schwierigkeiten oder gar nicht sicher zuzuordnen. Es fehlen Angaben zu Müttern, nur die Väter lassen taufen, Eheregister gibt es aus den frühen Jahren nicht und in den Sterberegistern heißt es oft nur lapidar: den Thorun aus Senseln begraben (aber welcher - es gab dort mehrere Familienzweige dieses Namens). Erst zum Ende des 17. Jh. werden die Eintragungen eindeutiger, aber auch nicht immer.
Aber dann haben wir da noch meinen speziellen Aktenfund über den ominösen Studiosus Christoph von Bergen. Schauen wir nun in diese Papiere von 1667:
Da berichtet ein churfürstlich brandenburgisch-preußischer Bottenmeister und Canzleyverwandter namens Johann Conradt an seinen Fürsten:
„Es hatt Christoff von Bergen ... den 19. Augusti ao 1661 300 mk baares geld von mir auff ein Jahr gelehnet und zum unterpfande sein im Caymischen gelegenes Freyguth Wilditten verschrieben, Allermaßen die beyliegende Copia obligationis besaget;
Nach dem nun solch Jahr umb gewesen, habe Ich zwar dem selben die auff kündigung gethan, aber wegen der dazwischen gekommenen ganz nahrlosen Zeit nicht befriediget werden können, sondern bey immer noch gedult zuhaben ersuchet worden; Negst-verwichene Weinachten aber hatt sich besagter von Bergen fest vorgenommen gehabt mich zu contentiren, weßwegen Er auch nach seinem Guthe gereiset, die mittel anzuschaffen, wie Er aber dahin gekommen, hatt Ihn der hochste Gott bald darauff aus dieser müheseeligkeit abgesondert, wodurch dessen Bruders Wittibe und Kinder Erbe bemelten Guthes worden;
Nun ist mir zwar von denselben die vertröstung gegeben, mich auffs baldmöglichste zubefriedigen, Muß aber dennoch dabey in sorge stehen, daß an statt dankbahrer bezahlung insonderheit, weil Ich keinen Consens darüber habe, mir allerhand wiederwärtigkeit gemachet werden dörffte;
Ersuche demnach Erw. Churfürstl. Durchl. Unterthgst. mit gehorsamster bitte, Sie geruhen bemeltes [= bemeldetes, d.h. genanntes] geringes anlehen nicht allein gngst. genehm zu halten, sondern auch die obligation dergestalt gnst. zu confirmiren, daß in entstehung baarer bezahlung ich mich auff so hoch als das Capitahl und interesse aus träget aus dem mir verschriebenen unterpfand bezahlet machen solle;“
Leider ist dieses Schreiben nicht datiert. Wir wissen daher nicht genau, welches Jahr Weihnachten der Studiosus Christoph von Bergen in Wilditten verstarb. Die Jahre 1663-66 kommen in Frage, denn im April 1667 veranlaßt die kurfürstliche Regierung auf das Schreiben des Johann Conradt folgendes:
>> Lbgetr. [Liebe Getreue]Wir haben nach ableben Christoffs von Bergen unßer Recht an dem durch seinen todesfall erledigtes Lehen zu Wilditten unßren Advocatus fisci zur Untersuchung gnst. anbefohlen; Demnach so ergeht an euch Unßer gn[ädig]ster befehlich, daß ihr uff vorstehenden 5(?) dieses euer … … nebenst denen Ambtsgeschwornen Nyß Petersen und Friedrich Christoff Perbandten alß welche die meiste Wissenschafft von der Sach haben, sich bey unßer Pr. Oberrathsstube anzugeben und ferner weisung zu erwarten an befehlich; Da auch sonst niemand an der LehensVolge, alß wir berichtet sind, daß einnige Vettern sich darumb anzugeben vermeinen, wo praetendirn wolten, seind den selben auch uff selben tag anhero zu verweisen; den 2. Aprilis Ao 1667<<
Man läßt prüfen, ob nicht gar die Landesherrschaft Ansprüche auf das Gut haben könnte, um damit Bediente zu befriedigen, die noch ausstehende Belohnung von ihrem Fürsten zu erwarten haben. Außerdem gibt es wohl noch Vettern des verstorbenen Christoff, die ebenfalls gern das Erbe besäßen. Der oben erwähnte Nyß Petersen [eigentlich Peterso(h)n], der mit dem Perbandt der preußischen Oberratsstube in Königsberg über die Verhältnisse berichten soll, hat 12 Jahre später (1679) eine Schwiegertochter aus der Familie von Bergen. Nyß Petersohn ist 1628 mit Dietrich v. Oehlsen, einem polnischen Major und schwedischen Hofmarschall im Zuge der schwedisch-polnischen Erbfolgekriege über Holstein nach Preußen gekommen und wohnt seit 1640 auf einem eigenen Gut in Sielkeim im Kirchspiel Caymen. Die Petersons leben bis 1945 im Samland und haben sich in viele alt eingesessene Familien hineinverzweigt. Aber das wäre dann schon wieder eine andere Geschichte... Im Mai 1667 schaltet sich die Regierung in Berlin mit einem von Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-88) selbst unterzeichneten Schreiben in den Fall ein:
>> Von Gottes gnaden Friderich Wilhelm Marggraf zu Brandenburg, des Heil.Röm.Reichs ErzCämmerer und Churfürst, in Preußen, zu Magdeburg, Jülich, Cleve, Berge, Stettin, Pommern p. Herzog p.
Unsern Freundlichen Dienste und gnädigen grueß zuvor, Hochgebohrner Fürst, freundlicher Lieber Oheimb, Auch Edle Räthe und Liebe getreue,
Welcher gestalt unser Preußischer Bottenmeister und Canzleyverwandter Johan Conradt umb Confirmation einer obligation von 300 Mk so er Christof von Bergen den 19. Aug. 1661 gegen sein zum Unterpfande verschriebenes Magdeburgisches Freygut Wilditten, Caymischen Ambts, hergeliehen, unterthänigst anhelt, Solches ersehen Eu.Lb. und ihr aus ersten hierin geschloßenen Supplicato, welchs Wir an Sie und euch remittiren mit dem freundlichen ersuchen und gdsten befehl, Unß euer unvorgreifliches gutachten einzusenden, ob des Supplicanten unterthänigsten bitte deferiret werden möge. Sein Eu.Lb. zu angennehmen diensten geflissen und euch mit gnaden gewogen. Cölln an der Spree den 17. May 1667
Friedrich Wilhelm [eigenhändige Unterschrift], großes Siegel <<
Das obige Schreiben ist adressiert an Fürst Bogusław Radziwiłł (siehe Bildnis rechts), dem seinerzeit in Königsberg amtierenden Statthalter des Herzogtums Preußen*). Im Juli 1667 antworten die Königsbergschen Oberräthe: >> Durchlauchtigster Fürst p.p., Gnedigster Herr.
Es ist unlengst ein Studiosus Christoff von Bergen, der ein Magdeburgisch Freygutt von 4 Huben zu Wilditten im Cammerambt Caymen erhalten, ohne Leibes Erben verstorben. Nun haben zwar seines vor ihme auch verstorbenen Bruders Albrechts von Bergen in demselben Freygutt hinterlaßene zwo Töchter und ihre Mutter, so noch uff den Huben sitzen, daß diese Brüder im ungetheileten gutt … geseßen, nach ihrs Vater Tode sie auch nicht außgezahlet weren, und dahero sie die Mutter und Töchter … im gutt zu bleiben, die Mutter auch noch d[a]s ius retentionis hette, eingewendett; dagegen seind zwo andern der verstorbenen Brüdern noch lebende Vettern Merten und Georg von Bergen auch einkommen, umb sich alß Lehensfolgern vor das erwehnten Töchtern zu qualificiren;
Wir aber haben alle theile Recht untersuchen laßen, und darauß, daß diese 4 Huben an E.Ch.D. alß ein caduci... befunden, danenhero wir auch vermeinet hatten, daß etwa mit einer neuen Belehnung unter so vielen praetendirenden E.Ch.D. Bedienten, wegen hinterstelligen verdieneten Lohnes einer contentiret werden könnte; Es hatt sich aber in der Untersuchung nachgehendes auch auß angezogenem AmbtsBericht ..auget, daß an schulden und Capitalien ohne die Interesse, so viel und mehr auff diesen Lehen haftet, alß die geschworene Taxe nicht außträget; Wie beides auß der Consignation der Schulden, der Taxa und dem Ambtsbericht hiebey zuersehen;
Weils nun die praetendirende Vettern abzuweisen, und vor den Schulden, die meist privilegiret und außm Lehen gezahlet werden müßen, E.F.D. wenig oder nichts auß dem Lehen zu erwarten, den Töchter aber sie darin zu conserviren dehmütigst bitten, die Pfandhabern vor Sie, weiln die Mutter und diese Kinder sonst nicht zu bleiben wißen, die creditores auch uff Sie sehen wollen, in ihrem Bericht intercediret, Alß haben wir es hiemit an E.Ch.D. gehorsambst bringen sollen, zu dehro eigenen gn[ädig]sten erkennung, ob E.Ch.D. der Töchter einige aequität vor Sie eine, wie noch woll ...melitiren(?) wolte, in dem Lehen gegen außzahlung der Schulden gndst. conserviren wolten, ohne maasgabe unterthänigst heimbstellende, und gute erklärung erwartende; …
Sämbtliche Oberräthe An S.Churf.Dl. zu Brandenburg d. 15. July 1667 << Am 19. Juli schreibt Friedrich Wilhelm aus Berlin, >> Wann Unß nun unbekandt, wie es mit denen Schulden, ob es consentirte oder nicht sein, bewandt; So ersuchen Wir Er.Edle freundtOheimblich und euch befehlen wir gnädigst, unß darvon Euer unvorfengliches Gutachten undt Bericht zu anderweiten Unserer gnädigsten erklerung anhero zusenden <<
Daraus ergibt sich die Rechnung, daß der von den oben erwähnten Amtsgeschworenen Peterson und Perbandt geschätzte Verkaufswert des Gutes bei weitem nicht die aufgelaufenen Schulden decken würde. So kommt man in Berlin zu dem Ratschluß: >> Waß Er.Lb. und ihr sub dato d. 12/22 wegen der beschaffenheit des Caducirten magdeburgischen Lehens von 4 Hufen, so im Freydorf Wilditten Ambts Caymen von einem Studioso Christoff von Bergen hinterlassen, anhero referiret, undt daß eine von des verstorbenen Bruder Töchter in diesem Lehen erhalten werde, fürschläget, Solchs haben Wir aus dem Vortrag sothanen Berichts vernommen. Weil nun viele Schulden auf dem Gutte haften, Alß seindt Wir gdst zufrieden, daß eine wenn sie sich verheyraten werde, Er.Lb. und eurem Vorschlage nach, in dem Lehen bleibe und die Creditores so gut sie können, contentiren; Jedoch soll der künftige besizer sothanen Gutts soches nach Magdeburgischem Recht inne haben und besizen. ...Cölln an der Spree, 14. Dec. 1667
Friderich Wilhelm (Originalunterschrift), Großes Siegel <<
Aus den Kirchenbüchern von Caymen weiß ich, daß ein Albrecht von Bergen, der nach Lage der Dinge zwischen 1660 und 1667 in Wilditten verstorben sein muß und der letzte Besitzer in Wilditten aus der Familie von Bergen gewesen ist, zwei Töchter hatte: Catharina Agnes * 1658 und Maria *1660. Catharina Agnes heiratet einen Johann Thiel, welcher das Gut in Wilditten mit der Schuldenlast weiterführt. Offenbar kann er die Schulden erfolgreich abtragen, denn er und auch sein Sohn und Nachfolger Friedrich Siegmund Thiel, der dann 1779 beim Amt Caymen die Anerkennung seines Eigentums an einer Wiese in Duhnau einfordert, sind geachtete Mitglieder ihrer Kirchengemeinde und dienen als Kirchenvorsteher. Friedrich Siegmund Thiel ist wiederum mit einer Tochter aus der Familie Peterson aus Sielkeim verheiratet, einer Familie, die sich dort ebenfalls recht erfolgreich auf cöllmischen Grundbesitz etabliert hat. Catharina Agnes von Bergen heiratet als Witwe in 2. Ehe Johann Sandtrau, einen Freysaß, Landgeschworenen und Kirchenvorsteher aus Bothenen.
Die andere Tochter Maria von Bergen heiratet Gabriel Le(n)gnick, einen cöllmischen Krüger aus Sielkeim. Eine Tochter der Maria von Bergen heiratet dann einen Peterson, so daß der Krug und 3 Huben Land in Sielkeim in der folgenden Generation auch in den Besitz der Sielkeimer Familie Peterson gelangen. Eine andere Tochter aus der Ehe Lengnick-von Bergen ist mit Anthonius Sandtrau verheiratet, einem Bruder des oben genannten Johann Sandtrau.
Die oben skizzierten Familienverflechtungen können als Beispiel dienen für die komplexen Familienbeziehungen innerhalb des Cöllmerstandes im Samland. Man heiratet über die Jahrhunderte nur innerhalb des eigenen Standes. Wenn es im näheren Umfeld keine geeigneten Ehekandidaten gibt, orientiert man sich auch in einem größeren Radius.
Zu erwähnen sei noch, jene Vettern der verstorbenen Brüder Albrecht und Christoph von Bergen heißen Merten und Georg von Bergen. Die Akten sagen jedoch nichts über deren Herkunft oder Wohnsitz aus. Möglicherweise stehen sie mit einer von Bergen-Linie in Poeppeln (Amt Labiau) in Verbindung. In Amtsrechnungen von Labiau wird 1666 ein George von Bergen in Poeppeln genannt. Außerdem gibt es 1607 auch einen Merten von Berge in Kadgienen, ein Witwer, der vor Neuvermählung die Besitzverhältnisse für seine Kinder aus erster Ehe Heinrich und Dorothea sowie für seine Stiefkinder Zacharias und Andres amtlich regeln möchte.
In der Caymenschen Amtsrechnungen 1667 wird noch ein Canzleyverwandter Abraham von Bergen als Mitbesitzer auf 10 Huben in Langendorf erwähnt - einige Zeilen unter dem Besitz des bereits verstorbenen Simon Dach in Kuykeim. Es schein also nicht nur eine Familie von Bergen in der Region gegeben zu haben. Übrigens war Abraham von Bergen ein Schwiegersohn von Professor Simon Dach **).
1727 wird Catharina Agnes v. Bergen verwitwete Thiel, verehelichte Sandtrau in einem tragischen Kirchenbuchvermerk 2 Jahre vor ihrem Tod im Sterbeeintrag ihres Enkels Johann Martin Singöhl *1718, † 19.04.1727 in Bothenen erwähnt:
„nachdem derselbe 2 tag vorhero, da die Großmutter Fr. Sandrauin von Wilditten in ihrem Garten graben laßen, einige ausgegrabene Bilsenwurzeln vor Paßernacht ungesehen gekocht und gegeßen, davon er nebst der andern, so davon gegeßen, aufgeschwollen, er aber 3. tag darauf gestorben“. Johann Martin Singöhl war väterlicherseits ein Enkel Abraham Singöhls, der den Krug in Danielis mit etlichen Hufen Land im Amt Schaaken besaß und dort auch Amtsgeschworener war. Johann Martins Vater Christoph Singöhl war mit einer Thiel-Tochter aus Wilditten verheiratet.
Und wie bin ich nun mit den v.BERGENs verwand? So ganz direkt und gerade aus eigentlich überhaupt nicht. Aber eine Schwester eines Urururur-Großvaters (die 4Ur-Großtante heißt Sophia Charlotte Dewien * 1783 in Bothenen) war gleich 2 Mal mit Männern aus der Sandtrau-Familie verheiratet, Urenkeln des oben genannten Anthonius Sandtrau. Und wenn ich noch etwas genauer suche, finde ich sicherlich noch weitere Verbindungen... Die samländischen Cöllmerfamilien waren alle kreuz und quer mehrfach miteinander verwandt und verschwägert.
Verwendete Quellen in der Reihenfolge ihrer Erwähnung:
GStAPK, XX.HA, Ostpr. Fol. 337, S. 378 (Verschreibung für Wilditten 1528)
GStAPK, XX.HA, Caymen PT Nr.2, S. 69ff (Gerichtstagsprotokoll vom 24.7.1779)
GStAPK, XX.HA, EM 126d Nr. 2501 (Schulden des verst. Studenten Christoph v.Bergen)
GStAPK, XX.HA, Ostpr. Fol. 2775, S.56 ff (Amtsrechnung Caymen 1667)
Kirchenbuchdaten im Ortsfamilienbuch Caymen
von Patrick Plew (siehe http://www.plew.info/ofb_allgemein.htm )
*) Bogusław Radziwiłł * 3. Mai 1620 in Danzig; † 31. Dezember 1669 bei Königsberg, war ein litauischer Adeliger, Magnat, Staatsmann und Reichsfürst des Heiligen Römischen Reiches. Als Sohn des Janusz Radziwiłł (1579–1620) entstammte er dem Adelsgeschlecht der Radziwiłł (litauisch Radvilos). Seine Mutter war Elisabeth Sofia, eine Tochter Kurfürst Johann Georgs von Brandenburg! Von 1657-69 stand er als Statthalter des Herzogtums Preußen im Dienst seines Verwandten Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg.
**) Simon Dach, Dichter der Barockzeit (siehe Bildnis rechts)
*29.07.1605 in Memel, + 15.04.1659 in Königsberg
1639 ernennt ihn Kurfürst Georg Wilhelm zum Professor für Dichtkunst an der Universität Königsberg.
1656 wird er Rektor der Universität Königsberg
1658 schenkt ihm Kurfürst Friedrich Wilhelm ein Gut in Kuikeim
Der Student heißt Christoph von Bergen. Er stammt aus dem Dörfchen Wilditten im Amte Caymen im Samland und verstarb auch dort, wie es heißt „zu Weihnachten“, als er das nötige Geld von zu Hause besorgen wollte, um die fällige Schuld zu begleichen. Das klingt fast nach einem Entwurf für einen schaurigen historischen Kriminalfall. Sehen wir nun genauer hin: auf die Orte des Geschehens, die beteiligten Familien, die historischen Umstände... Was geben die Akten her? Welches Finderglück ist mir im Staatsarchiv beschieden gewesen?
Wenn man die Landstraße von Königsberg in nordöstlicher Richtung nach Labiau fährt, findet man Wilditten, wenn man nach etwa 20 Kilometer beim Dorf Nautzken rechts abbiegt. Nach einem knappen Kilometer in Richtung Caymen führt der Landweg durch Wilditten.
Heutzutage ist in der kleinen Ortschaft nur noch ein Haus stehen geblieben (auf der rechten Seite des Weges von Nautzken aus gesehen). Vom zweiten Hof auf der anderen Straßenseite ist nur ein Ziegelhaufen erkennbar.
Damals, vor nunmehr 340 Jahren, hat es in Wilditten 2 Höfe gegeben, die bis weit in die Neuzeit hinein sogn. cöllmische Besitzungen gewesen sind. Cöllmer sind tatsächlich auch Eigentümer ihrer Höfe, zahlen geringe Steuern oder wenige andere Abgaben und haben ursprünglich die Pflicht gehabt, im Kriegsfalle je nach Größe des Besitzes genau definierte Dienste zu leisten. Solche Besitzer werden in Preußen Cöllmer genannt, weil der Besitzstatus auf sogn. culmisches Recht zurückgeht, welches in mittelalterlichen Zeiten in einer der ersten Stadtgründungen des Ordens, in Culm, urkundlich definiert wurde. Mitunter liest man in Urkunden und Amtspapieren auch die Bezeichnung Freyer oder Freisaße als Synonym für Cöllmer.
Jene Kriegsdienste, die oft noch aus mittelalterlichen Ordenszeiten mit dem Besitz verbunden gewesen sind, werden in neueren Zeiten kaum noch gefordert. Die für die Landesherrschaft tätigen Amtmänner haben oft versucht, den Cöllmern andere Abgaben und Pflichten als Ersatz für die nicht mehr üblichen Kriegsdienste aufzuerlegen, was regelmäßig entrüstete Proteste ausgelöst hat. Die Proteste sind nicht immer erfolgreich gewesen, so daß der privilegierte Stand der Cöllmer in vielen Fällen in die Nähe gewöhnlicher Bauern herabsank. Mit Bauern werden im damaligen Sprachgebrauch Besitzer von Land bezeichnet, die ihr Land und die Gebäude jedoch nur zum Bewirtschaften erhalten haben, also keinesfalls auch Eigentümer sind. Oft ist ihnen zur Bewirtschaftung auch sogn. Besatz zur Verfügung gestellt gewesen. Damit sind Arbeitsmittel, Vieh, Saatgut und dergleichen gemeint. Für diese Lebensgrundlage haben die Bauern recht hohe Abgaben zu erlegen gehabt. Außerdem haben sie Dienste auf anderen Ländereien des Grundeigentümers leisten müssen, sogenanntes Scharwerk. Im Gegensatz zu den Cöllmern und Freyen sind die Bauern unfrei und an die ihnen zugeteilte Scholle mit den Scharwerksdiensten gebunden gewesen. Im Gegenzug haben sie von ihren Grundherren die Leistung von Fürsorgepflichten bei Mißernten oder Feuerunglück erwarten dürfen. Der Status der unselbständigen Bauern wird sich erst mit der Preußischen Landreform nach 1807 ändern.
Zurück nach Wilditten: der 1667 im Besitz der Familie von Bergen befindliche Hof hatte eine Größe von 4 Huben, was nach heutigem Maß etwa 65 Hektar entspricht. Die erste urkundliche Erwähnung über diesen Besitz datiert von 1528. Ich fand sie im sogn. „Grünen Hausbuch“ des Amtes Schaaken. Dieses Buch ist eine Art Grundbuch und das älteste seiner Art im Amte Schaaken. Dort heißt es im Original: >> Von gotts genaden Wir Albrecht Marggraff zu Brandenburg In Preussen zu Stettin Pommern der Cassuben und wenden Hertzogk Burggraff zu Nurnbergk und fürst zu Rügen Bekennen und thun kunt fuer uns unser Erben und Nachkomen gen Idermennigklich diß unsers Brieffes Ansichtigen, das wir vorlihen und vorschriben habenn verleihen und verschreyben unsernn liebn getrauen Merten vom Berge seinen ehelichen erben und nachkomlingen sechs hocken In felde zu Wiltitten gelegen An Acker wysen weldenn puschen und pruchern Als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset frey von lehenden und peurlicher Arbeit zu Magdeburgischen rechten Erblichen und Ewigklichen zu besitzen darzu wir ihm geben dreyßick margk wehrgeldes von sunderlichen genadenn verleyhen wir dem ehegenanten Merten seinen rechten ehelichen erben und nachkomlingen die gerichte beyde groß unnd klein binnen seinen grentzen und über seine leuthe Ausgenumen strassengericht das wir uns unsern Erben und nachkomen zurichten fuerbehaltenn. Umb disser belehnung und begabung willen sol der Offtgenante Merten & seine rechte erben und nachkomlinge zu Dienst sein verbundenn myt pfferd und mith Harnisch Nach disses landes gewohnhayt zu allen Herfartenn & Lanthwehren, Neue Heuser zu bauen Alte zu brechen und zu bessernn wan wie dick und wohin si gefordert werden und sunst Alles das Ihenige thun, was ihre vorfahrenn von Alters gethan habenn treulichen und ungeferlichen zu urkundt myt unserm Anhangenden Ingesigel besigelt unnd geben zu Kennigskspergk Am tage Mattei Im xv C und Acht untzwantzigsten Jahre. << An dem Text hat man vermerkt: „diese Hantfest ist i[h]m abhendig worden, hat eine Neue, ist datiret ao 1558“
Diese Verschreibung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
Es werden als Maßeinheit sogn. Haken [im Original: hocken] genannt. Diese Maßeinheit kennzeichnet immer ursprünglich prußischen Besitz. 1 Haken entsprach 20 Morgen, während die sonst übliche Maßeinheit Huben oder Hufen 30 Morgen enthielt. Das Hakenmaß geht auf den von der prußischen Urbevölkerung genutzte Hakenpflug zurück, mit dem man weniger zu ackern geschafft hat, als mit dem Scharpflug, der von den aus dem Westen kommenden Colonisten in Preußen eingeführt wurde. Die erwähnten 6 Haken entsprechen genau 4 Huben.
Zu dem prußischen Flächenmaß paßt die Verleihung von Wehrgeld. Vor allem im Samland haben verdiente Prußen schon sehr früh Landbesitz und Status vom Ordensstaat verbindlich anerkannt bekommen. Nur in Landverschreibungen für Prußen hat es die Verleihung von Wehrgeld gegeben. In Lexika steht zu lesen, es gehe um eine Geldsumme, die bei Tötungsdelikten den Hinterbliebenen zu zahlen sei, um der Blutrache und Selbstjustiz entgegenzuwirken. Die Höhe des sogn. Wehrgeldes richtet sich jeweils nach der Größe des Besitzes.
Eine weitere Besonderheit taucht hier auf: „die gerichte beyde groß unnd klein binnen seinen grentzen und über seine leuthe Ausgenumen strassengericht das wir uns unsern Erben und nachkomen zurichten fuerbehaltenn.“ Üblicherweise haben cöllmische Güter das Vorrecht eigener Gerichtsbarkeit nicht bekommen. Es wird sonst nur adeligen Besitzungen verliehen.
"Als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset frey von lehenden und peurlicher Arbeit zu Magdeburgischen rechten Erblichen und Ewigklichen zu besitzen.“ Frei von sonstigen Lehensverplichtungen und -ganz wichtig- frei von bäuerlicher Arbeit wird hier das Land verliehen. Außerdem läßt die Formulierung „als sie ihnen von unsers vorfahren seindt beweyset“ den Schluß zu, daß es hierbei nicht um einen Neuerwerb geht, sondern um eine nachträgliche erneute Verbriefung von bereits lange bestehenden Besitzverhältnissen. Aus der hohen Zahl von überall auffindbaren Verschreibungen nach 1525 läßt sich rückschließen, daß wohl vor allem nach dem Wechsel vom Ordensstaat zum Herzogtum viele bestehenden alten Besitzverhältnisse in Preußen neu verbrieft wurden. Bemerkenswert ist an dieser Verschreibung, daß mit keinem Wort von Abgaben und Steuerleistungen gesprochen wird, was sonst in jeder üblichen cöllmischen Verschreibung, wenn auch nur in geringem Maße, aber dennoch immer genau benannt ist!
„...zu Dienst sein verbundenn myt pfferd und mith Harnisch Nach disses landes gewohnhayt zu allen Herfartenn & Lanthwehren, Neue Heuser zu bauen Alte zu brechen und zu bessernn wan wie dick und wohin si gefordert werden und sunst Alles das Ihenige thun, was ihre vorfahrenn von Alters gethan habenn...“ So heißt es üblicherweise in jeder Verschreibung von cöllmischen Gütern. Als einzige Verpflichtung gegenüber der Landesherrschaft hat man mit Pferd und Harnisch im Kriegsfalle zu erscheinen (man kann auch jemand anderes beauftragen und schicken). Größere Güter hatten gegebenefalls mehrere Männer zu stellen oder einen sogn. Warpenwagen bereit zu halten. Außerdem muß man in Friedenszeiten bei Bauten der Landesherrschaft mithelfen, Fuhrleistungen gestellen und ähnliches. Das galt in der Regel nur für in der Nähe befindliche Schlösser und Amtsbauten, in diesem Fall für das Gebiet des Amtes Caymen.
Der Status des Besitzes erscheint aus oben genannten Gründen ungewöhnlich, irgendwie schwebend zwischen adligen und „bürgerlich“ cöllmischen Geflogenheiten, gewürzt mit prußischen Besonderheiten. Die obige Verschreibung widerspricht den üblichen für Prußen ausgegebenen Urkunden durch das Prädikat „zu magdebugischen Rechten“. Prußische Rechte lassen eine Vererbung nur an Söhne zu. Töchter können den Besitz bestenfalls nur noch auf Lebenszeit nutzen, aber nicht weitervererben. Besitz ohne männliche Erben verfällt an die Landesherrschaft, wird „Caduc“, kann „caduciret“ werden, wie es in der Sprache der Zeit heißt. Magdeburgische Rechte beinhalten üblicherweise eine Vererbung „zu beyden Kindern“, an Söhne und Töchter, was in dieser Verschreibung jedoch fehlt.
Ich gehe davon aus, daß jener Merten vom Berge 1528 vom damaligen Herzog Albrecht von Preußen für seine seit früheren Zeiten angestammte Besitzung in Wilditten eine neue Verschreibung erhält. Ursprünglich handelt es sich sicherlich um Land, welches in prußischem Besitz gewesen sein dürfte (mit Prußen sind hier die Ureinwohner des Preußenlandes gemeint). Die Familie von Bergen erhält jedoch Rechte verbrieft, die sonst nur adeligen Familien zukommen und die über die prußischen oder cöllmischen Rechte unüblich weit hinausgehen.
Was gibt es noch an Belegen und Dokumenten über die von Bergen in Wilditten?
In der Praestationstabelle Nr.2 des Amtes Caymen von 1780 wird ein Gerichtstag protokolliert. Gerichtstage wurden inbesondere auch zum Ende und Neubeginn einer Amtsperiode des Amtsmannes gehalten, um alle unklaren und strittigen Verhältnisse zu lösen, aber auch, um den Einwohnern des Amtes Gelegenheit zu geben, Klagen gegen den Amtmann vorzubringen, was wahrscheinlich zu keiner Verlängerung der Dienstzeit jenes Beamten geführt hätte.
Auf dem Gerichtstag am 24ten July 1779 werden 10 strittige Fälle protocolliert, wo es meistenteils um eine rechtmäßig zu ordnende Nutzung von Ländereien geht. Einer der Fälle betrifft ursprünglich von Bergenschen Besitz:
>>Der Cöllmische Einsaaße Friedrich Siegmund Thiel, Eigenthümer des Guths Wilditten, zeiget an, wie ihm 5 Morgen Wiesen gehörten, welche bey Duhnau in dem genannten SchaarwercksBruch liegen und worüber er noch keine Verschreibung, außer das in Copia sub.B beygefundene Attestat habe, welches zwar kein Original sey, auch die Sache nicht ganz genau bestimme; allein da er und seine Vorfahren dieses Stückchen Wiese über Hundert Jahre in Besitz gehabt, so hoffe er die Verschreibung zu erhalten; Beamter so wie alle Schultzen dasiger Gegend zeugen ihm ein, daß dieser Besitz seit undenklicher Zeit bey Wilditten gewesen.<< Die oben erwähnte Copia B enthält folgendes:
>> Nach deme der Krüger zu Mettckeim Stecker und Assmann Hintz zur Duhnau eine Wiese zur Duhnau gelegen vom Albrecht von Berge GroßVater in Verpfändung bekommen, die Hälfte aber Albrecht von Berge Vater allbereit Ao [15]81 vom Assmann Hintze eingelöset vor 13 schfl Korn, die andere Hälfte bis dahero der Krüger zu Mettckeim im Bruch behalten, welche Albrecht von Berge, als deme sie zukommt, länger in Verpfändung stehen zu laßen bedencken getragen, derwegen der Krüger zu Mettckeim und Albrecht von Berge sich darum also vertragen;
Es soll Albrecht von Berge dem Krüger zu Mettckeim auf künftigen Herbst 15 schfl Roggen zur Saat geben, dagegen will er ihm jetzt bald die Wiese einräumen und solche zu seinem Besten zu gebrauchen wieder übergeben haben, weil auch der Krüger zu Mettckeim ein Schriftchen über gedachte Wiese und solche seinem Bericht nach verlohren haben soll, Als soll dieselbe hiemit, da sie künftig gefunden werden möchte, cassiret seyn und dem Krüger oder seinen Erben nichts gelten, dieser Schrift sind jedermann Parte eine unterm Amt Siegel mitgetheilet.
Actum Schaacken den 5ten May 1602, (LS) Martin Wittenberg AmtSchreiber <<
Aus diesem genealogisch aufschlußreichen Dokument wissen wir nun, daß es 1602 schon 3 Generationen hintereinander Großvater, Vater und Sohn mit Namen Albrecht von Berge auf dem Gut in Wilditten gegeben hat und daß 1779 ein Friedrich Sigmund Thiel als Rechtsnachfolger derer von Bergen auf Wilditten sitzt und das Eigentum an jenen Wiesen in Duhnau reklamiert. Was ist nun mit dem Studenten Christoph von Bergen passiert? Wie kam das Gut in Wilditten an einen Thiel? Läßt sich das alles noch rekonstruieren?
Um 1647 setzen die Kirchenbuchaufzeichnungen für die Kirche in Caymen ein. Die Eintragungen der ersten Jahre sind oft nur ungenau, schwer zu entziffern und genealogisch mit Schwierigkeiten oder gar nicht sicher zuzuordnen. Es fehlen Angaben zu Müttern, nur die Väter lassen taufen, Eheregister gibt es aus den frühen Jahren nicht und in den Sterberegistern heißt es oft nur lapidar: den Thorun aus Senseln begraben (aber welcher - es gab dort mehrere Familienzweige dieses Namens). Erst zum Ende des 17. Jh. werden die Eintragungen eindeutiger, aber auch nicht immer.
Aber dann haben wir da noch meinen speziellen Aktenfund über den ominösen Studiosus Christoph von Bergen. Schauen wir nun in diese Papiere von 1667:
Da berichtet ein churfürstlich brandenburgisch-preußischer Bottenmeister und Canzleyverwandter namens Johann Conradt an seinen Fürsten:
„Es hatt Christoff von Bergen ... den 19. Augusti ao 1661 300 mk baares geld von mir auff ein Jahr gelehnet und zum unterpfande sein im Caymischen gelegenes Freyguth Wilditten verschrieben, Allermaßen die beyliegende Copia obligationis besaget;
Nach dem nun solch Jahr umb gewesen, habe Ich zwar dem selben die auff kündigung gethan, aber wegen der dazwischen gekommenen ganz nahrlosen Zeit nicht befriediget werden können, sondern bey immer noch gedult zuhaben ersuchet worden; Negst-verwichene Weinachten aber hatt sich besagter von Bergen fest vorgenommen gehabt mich zu contentiren, weßwegen Er auch nach seinem Guthe gereiset, die mittel anzuschaffen, wie Er aber dahin gekommen, hatt Ihn der hochste Gott bald darauff aus dieser müheseeligkeit abgesondert, wodurch dessen Bruders Wittibe und Kinder Erbe bemelten Guthes worden;
Nun ist mir zwar von denselben die vertröstung gegeben, mich auffs baldmöglichste zubefriedigen, Muß aber dennoch dabey in sorge stehen, daß an statt dankbahrer bezahlung insonderheit, weil Ich keinen Consens darüber habe, mir allerhand wiederwärtigkeit gemachet werden dörffte;
Ersuche demnach Erw. Churfürstl. Durchl. Unterthgst. mit gehorsamster bitte, Sie geruhen bemeltes [= bemeldetes, d.h. genanntes] geringes anlehen nicht allein gngst. genehm zu halten, sondern auch die obligation dergestalt gnst. zu confirmiren, daß in entstehung baarer bezahlung ich mich auff so hoch als das Capitahl und interesse aus träget aus dem mir verschriebenen unterpfand bezahlet machen solle;“
Leider ist dieses Schreiben nicht datiert. Wir wissen daher nicht genau, welches Jahr Weihnachten der Studiosus Christoph von Bergen in Wilditten verstarb. Die Jahre 1663-66 kommen in Frage, denn im April 1667 veranlaßt die kurfürstliche Regierung auf das Schreiben des Johann Conradt folgendes:
>> Lbgetr. [Liebe Getreue]Wir haben nach ableben Christoffs von Bergen unßer Recht an dem durch seinen todesfall erledigtes Lehen zu Wilditten unßren Advocatus fisci zur Untersuchung gnst. anbefohlen; Demnach so ergeht an euch Unßer gn[ädig]ster befehlich, daß ihr uff vorstehenden 5(?) dieses euer … … nebenst denen Ambtsgeschwornen Nyß Petersen und Friedrich Christoff Perbandten alß welche die meiste Wissenschafft von der Sach haben, sich bey unßer Pr. Oberrathsstube anzugeben und ferner weisung zu erwarten an befehlich; Da auch sonst niemand an der LehensVolge, alß wir berichtet sind, daß einnige Vettern sich darumb anzugeben vermeinen, wo praetendirn wolten, seind den selben auch uff selben tag anhero zu verweisen; den 2. Aprilis Ao 1667<<
Man läßt prüfen, ob nicht gar die Landesherrschaft Ansprüche auf das Gut haben könnte, um damit Bediente zu befriedigen, die noch ausstehende Belohnung von ihrem Fürsten zu erwarten haben. Außerdem gibt es wohl noch Vettern des verstorbenen Christoff, die ebenfalls gern das Erbe besäßen. Der oben erwähnte Nyß Petersen [eigentlich Peterso(h)n], der mit dem Perbandt der preußischen Oberratsstube in Königsberg über die Verhältnisse berichten soll, hat 12 Jahre später (1679) eine Schwiegertochter aus der Familie von Bergen. Nyß Petersohn ist 1628 mit Dietrich v. Oehlsen, einem polnischen Major und schwedischen Hofmarschall im Zuge der schwedisch-polnischen Erbfolgekriege über Holstein nach Preußen gekommen und wohnt seit 1640 auf einem eigenen Gut in Sielkeim im Kirchspiel Caymen. Die Petersons leben bis 1945 im Samland und haben sich in viele alt eingesessene Familien hineinverzweigt. Aber das wäre dann schon wieder eine andere Geschichte... Im Mai 1667 schaltet sich die Regierung in Berlin mit einem von Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-88) selbst unterzeichneten Schreiben in den Fall ein:
>> Von Gottes gnaden Friderich Wilhelm Marggraf zu Brandenburg, des Heil.Röm.Reichs ErzCämmerer und Churfürst, in Preußen, zu Magdeburg, Jülich, Cleve, Berge, Stettin, Pommern p. Herzog p.
Unsern Freundlichen Dienste und gnädigen grueß zuvor, Hochgebohrner Fürst, freundlicher Lieber Oheimb, Auch Edle Räthe und Liebe getreue,
Welcher gestalt unser Preußischer Bottenmeister und Canzleyverwandter Johan Conradt umb Confirmation einer obligation von 300 Mk so er Christof von Bergen den 19. Aug. 1661 gegen sein zum Unterpfande verschriebenes Magdeburgisches Freygut Wilditten, Caymischen Ambts, hergeliehen, unterthänigst anhelt, Solches ersehen Eu.Lb. und ihr aus ersten hierin geschloßenen Supplicato, welchs Wir an Sie und euch remittiren mit dem freundlichen ersuchen und gdsten befehl, Unß euer unvorgreifliches gutachten einzusenden, ob des Supplicanten unterthänigsten bitte deferiret werden möge. Sein Eu.Lb. zu angennehmen diensten geflissen und euch mit gnaden gewogen. Cölln an der Spree den 17. May 1667
Friedrich Wilhelm [eigenhändige Unterschrift], großes Siegel <<
Das obige Schreiben ist adressiert an Fürst Bogusław Radziwiłł (siehe Bildnis rechts), dem seinerzeit in Königsberg amtierenden Statthalter des Herzogtums Preußen*). Im Juli 1667 antworten die Königsbergschen Oberräthe: >> Durchlauchtigster Fürst p.p., Gnedigster Herr.
Es ist unlengst ein Studiosus Christoff von Bergen, der ein Magdeburgisch Freygutt von 4 Huben zu Wilditten im Cammerambt Caymen erhalten, ohne Leibes Erben verstorben. Nun haben zwar seines vor ihme auch verstorbenen Bruders Albrechts von Bergen in demselben Freygutt hinterlaßene zwo Töchter und ihre Mutter, so noch uff den Huben sitzen, daß diese Brüder im ungetheileten gutt … geseßen, nach ihrs Vater Tode sie auch nicht außgezahlet weren, und dahero sie die Mutter und Töchter … im gutt zu bleiben, die Mutter auch noch d[a]s ius retentionis hette, eingewendett; dagegen seind zwo andern der verstorbenen Brüdern noch lebende Vettern Merten und Georg von Bergen auch einkommen, umb sich alß Lehensfolgern vor das erwehnten Töchtern zu qualificiren;
Wir aber haben alle theile Recht untersuchen laßen, und darauß, daß diese 4 Huben an E.Ch.D. alß ein caduci... befunden, danenhero wir auch vermeinet hatten, daß etwa mit einer neuen Belehnung unter so vielen praetendirenden E.Ch.D. Bedienten, wegen hinterstelligen verdieneten Lohnes einer contentiret werden könnte; Es hatt sich aber in der Untersuchung nachgehendes auch auß angezogenem AmbtsBericht ..auget, daß an schulden und Capitalien ohne die Interesse, so viel und mehr auff diesen Lehen haftet, alß die geschworene Taxe nicht außträget; Wie beides auß der Consignation der Schulden, der Taxa und dem Ambtsbericht hiebey zuersehen;
Weils nun die praetendirende Vettern abzuweisen, und vor den Schulden, die meist privilegiret und außm Lehen gezahlet werden müßen, E.F.D. wenig oder nichts auß dem Lehen zu erwarten, den Töchter aber sie darin zu conserviren dehmütigst bitten, die Pfandhabern vor Sie, weiln die Mutter und diese Kinder sonst nicht zu bleiben wißen, die creditores auch uff Sie sehen wollen, in ihrem Bericht intercediret, Alß haben wir es hiemit an E.Ch.D. gehorsambst bringen sollen, zu dehro eigenen gn[ädig]sten erkennung, ob E.Ch.D. der Töchter einige aequität vor Sie eine, wie noch woll ...melitiren(?) wolte, in dem Lehen gegen außzahlung der Schulden gndst. conserviren wolten, ohne maasgabe unterthänigst heimbstellende, und gute erklärung erwartende; …
Sämbtliche Oberräthe An S.Churf.Dl. zu Brandenburg d. 15. July 1667 << Am 19. Juli schreibt Friedrich Wilhelm aus Berlin, >> Wann Unß nun unbekandt, wie es mit denen Schulden, ob es consentirte oder nicht sein, bewandt; So ersuchen Wir Er.Edle freundtOheimblich und euch befehlen wir gnädigst, unß darvon Euer unvorfengliches Gutachten undt Bericht zu anderweiten Unserer gnädigsten erklerung anhero zusenden <<
Daraus ergibt sich die Rechnung, daß der von den oben erwähnten Amtsgeschworenen Peterson und Perbandt geschätzte Verkaufswert des Gutes bei weitem nicht die aufgelaufenen Schulden decken würde. So kommt man in Berlin zu dem Ratschluß: >> Waß Er.Lb. und ihr sub dato d. 12/22 wegen der beschaffenheit des Caducirten magdeburgischen Lehens von 4 Hufen, so im Freydorf Wilditten Ambts Caymen von einem Studioso Christoff von Bergen hinterlassen, anhero referiret, undt daß eine von des verstorbenen Bruder Töchter in diesem Lehen erhalten werde, fürschläget, Solchs haben Wir aus dem Vortrag sothanen Berichts vernommen. Weil nun viele Schulden auf dem Gutte haften, Alß seindt Wir gdst zufrieden, daß eine wenn sie sich verheyraten werde, Er.Lb. und eurem Vorschlage nach, in dem Lehen bleibe und die Creditores so gut sie können, contentiren; Jedoch soll der künftige besizer sothanen Gutts soches nach Magdeburgischem Recht inne haben und besizen. ...Cölln an der Spree, 14. Dec. 1667
Friderich Wilhelm (Originalunterschrift), Großes Siegel <<
Aus den Kirchenbüchern von Caymen weiß ich, daß ein Albrecht von Bergen, der nach Lage der Dinge zwischen 1660 und 1667 in Wilditten verstorben sein muß und der letzte Besitzer in Wilditten aus der Familie von Bergen gewesen ist, zwei Töchter hatte: Catharina Agnes * 1658 und Maria *1660. Catharina Agnes heiratet einen Johann Thiel, welcher das Gut in Wilditten mit der Schuldenlast weiterführt. Offenbar kann er die Schulden erfolgreich abtragen, denn er und auch sein Sohn und Nachfolger Friedrich Siegmund Thiel, der dann 1779 beim Amt Caymen die Anerkennung seines Eigentums an einer Wiese in Duhnau einfordert, sind geachtete Mitglieder ihrer Kirchengemeinde und dienen als Kirchenvorsteher. Friedrich Siegmund Thiel ist wiederum mit einer Tochter aus der Familie Peterson aus Sielkeim verheiratet, einer Familie, die sich dort ebenfalls recht erfolgreich auf cöllmischen Grundbesitz etabliert hat. Catharina Agnes von Bergen heiratet als Witwe in 2. Ehe Johann Sandtrau, einen Freysaß, Landgeschworenen und Kirchenvorsteher aus Bothenen.
Die andere Tochter Maria von Bergen heiratet Gabriel Le(n)gnick, einen cöllmischen Krüger aus Sielkeim. Eine Tochter der Maria von Bergen heiratet dann einen Peterson, so daß der Krug und 3 Huben Land in Sielkeim in der folgenden Generation auch in den Besitz der Sielkeimer Familie Peterson gelangen. Eine andere Tochter aus der Ehe Lengnick-von Bergen ist mit Anthonius Sandtrau verheiratet, einem Bruder des oben genannten Johann Sandtrau.
Die oben skizzierten Familienverflechtungen können als Beispiel dienen für die komplexen Familienbeziehungen innerhalb des Cöllmerstandes im Samland. Man heiratet über die Jahrhunderte nur innerhalb des eigenen Standes. Wenn es im näheren Umfeld keine geeigneten Ehekandidaten gibt, orientiert man sich auch in einem größeren Radius.
Zu erwähnen sei noch, jene Vettern der verstorbenen Brüder Albrecht und Christoph von Bergen heißen Merten und Georg von Bergen. Die Akten sagen jedoch nichts über deren Herkunft oder Wohnsitz aus. Möglicherweise stehen sie mit einer von Bergen-Linie in Poeppeln (Amt Labiau) in Verbindung. In Amtsrechnungen von Labiau wird 1666 ein George von Bergen in Poeppeln genannt. Außerdem gibt es 1607 auch einen Merten von Berge in Kadgienen, ein Witwer, der vor Neuvermählung die Besitzverhältnisse für seine Kinder aus erster Ehe Heinrich und Dorothea sowie für seine Stiefkinder Zacharias und Andres amtlich regeln möchte.
In der Caymenschen Amtsrechnungen 1667 wird noch ein Canzleyverwandter Abraham von Bergen als Mitbesitzer auf 10 Huben in Langendorf erwähnt - einige Zeilen unter dem Besitz des bereits verstorbenen Simon Dach in Kuykeim. Es schein also nicht nur eine Familie von Bergen in der Region gegeben zu haben. Übrigens war Abraham von Bergen ein Schwiegersohn von Professor Simon Dach **).
1727 wird Catharina Agnes v. Bergen verwitwete Thiel, verehelichte Sandtrau in einem tragischen Kirchenbuchvermerk 2 Jahre vor ihrem Tod im Sterbeeintrag ihres Enkels Johann Martin Singöhl *1718, † 19.04.1727 in Bothenen erwähnt:
„nachdem derselbe 2 tag vorhero, da die Großmutter Fr. Sandrauin von Wilditten in ihrem Garten graben laßen, einige ausgegrabene Bilsenwurzeln vor Paßernacht ungesehen gekocht und gegeßen, davon er nebst der andern, so davon gegeßen, aufgeschwollen, er aber 3. tag darauf gestorben“. Johann Martin Singöhl war väterlicherseits ein Enkel Abraham Singöhls, der den Krug in Danielis mit etlichen Hufen Land im Amt Schaaken besaß und dort auch Amtsgeschworener war. Johann Martins Vater Christoph Singöhl war mit einer Thiel-Tochter aus Wilditten verheiratet.
Und wie bin ich nun mit den v.BERGENs verwand? So ganz direkt und gerade aus eigentlich überhaupt nicht. Aber eine Schwester eines Urururur-Großvaters (die 4Ur-Großtante heißt Sophia Charlotte Dewien * 1783 in Bothenen) war gleich 2 Mal mit Männern aus der Sandtrau-Familie verheiratet, Urenkeln des oben genannten Anthonius Sandtrau. Und wenn ich noch etwas genauer suche, finde ich sicherlich noch weitere Verbindungen... Die samländischen Cöllmerfamilien waren alle kreuz und quer mehrfach miteinander verwandt und verschwägert.
Verwendete Quellen in der Reihenfolge ihrer Erwähnung:
GStAPK, XX.HA, Ostpr. Fol. 337, S. 378 (Verschreibung für Wilditten 1528)
GStAPK, XX.HA, Caymen PT Nr.2, S. 69ff (Gerichtstagsprotokoll vom 24.7.1779)
GStAPK, XX.HA, EM 126d Nr. 2501 (Schulden des verst. Studenten Christoph v.Bergen)
GStAPK, XX.HA, Ostpr. Fol. 2775, S.56 ff (Amtsrechnung Caymen 1667)
Kirchenbuchdaten im Ortsfamilienbuch Caymen
von Patrick Plew (siehe http://www.plew.info/ofb_allgemein.htm )
*) Bogusław Radziwiłł * 3. Mai 1620 in Danzig; † 31. Dezember 1669 bei Königsberg, war ein litauischer Adeliger, Magnat, Staatsmann und Reichsfürst des Heiligen Römischen Reiches. Als Sohn des Janusz Radziwiłł (1579–1620) entstammte er dem Adelsgeschlecht der Radziwiłł (litauisch Radvilos). Seine Mutter war Elisabeth Sofia, eine Tochter Kurfürst Johann Georgs von Brandenburg! Von 1657-69 stand er als Statthalter des Herzogtums Preußen im Dienst seines Verwandten Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg.
**) Simon Dach, Dichter der Barockzeit (siehe Bildnis rechts)
*29.07.1605 in Memel, + 15.04.1659 in Königsberg
1639 ernennt ihn Kurfürst Georg Wilhelm zum Professor für Dichtkunst an der Universität Königsberg.
1656 wird er Rektor der Universität Königsberg
1658 schenkt ihm Kurfürst Friedrich Wilhelm ein Gut in Kuikeim
Labels: Boguslaw Radziwill, Caymen, Kuikeim, Schaaken, Simon Dach, Wilditten
2 Kommentare:
Hallo, ich bin mit den Familie von Bergen verwandt und kann ihnen gern einen Stammbaum zukommen lassen der Querverbindungen zu hier genannten Personen nachweist.
Danke für Ihre Recherche und die interessanten Infos!
Anna Daum
Hallo Anna Daum, das klingt sehr spannend. Wenn es keine Umstände macht, freue ich mich über eine eMail mit Stammbaumdaten: ViktorHaupt@aol.com Evtl. finden sich ja noch mehr Querverbindungen...
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