Die Ursprünge der Familie SANTRAU im Samland/Preußen
Der Familienname SANTRAU ist in den heutigen deutschen Telefonbüchern einer der seltensten. In dieser Schreibweise taucht er nur 6 Mal auf. In der Schreibvariante SANDTRAU gibt es nur einen Eintrag. Möglicherweise steht auch die Variante SANDRAU mit diesem Namensstamm in Verbindung. Hiervon gibt es derzeit 3 Treffer (überprüft bei www.dastelefonbuch.de). Möglicherweise gibt es noch mehr Personen dieses Namens, die jedoch keinen Festnetzanschluß mehr haben und somit nicht erfaßt sind. Wenn man diesen Link wählt http://christoph.stoepel.net/geogen/v3/Default.aspx
kann man die Verbreitung von Familiennamen auf der Basis älterer Telefonbücher überprüfen. Besonders schön sind dabei die verschiedenen Anzeigemöglichkeiten (unbedingt mal ausprobieren mit den eigenen Wunschnamen!). Allerdings tauchen auch in dieser Quelle nicht wesentlich mehr der hier diskutierten Namensträger auf: 10 Mal SANTRAU, 1 Mal SANDTRAU, 4 Mal SANDRAU.
Was hat es nun für eine Bewandtnis mit diesem Namen? Wenn man nach ähnlich klingenden deutschen Ortsnamen sucht, findet sich ein SANDERAU (Stadtteil von Würzburg), sowie ein SANDRAU in Sachsen. So liegt die Vermutung nahe, die Familie sei möglicherweise von dort nach Preußen eingewandert. Welche Wurzeln lassen sich in alten preußischen Urkunden ermitteln?
Der Familienname SANTRAU, gelegentlich auch SANDTRAU geschrieben, läßt sich urkundlich seit dem Beginn der Regierungszeit Herzog Albrechts in Preußen nachweisen. Allerdings bedeuten die auffällig zahlreich ausgegebenen Besitzverschreibungen in den seltensten Fällen, daß diese Urkunden einen Neuerwerb amtlich bestätigen. Um die Verwaltung des neu installierten Herzogtums auf dem Gebiet des Ordensstaates auf solide Grundlagen zu stellen, war es notwendig, sämtliche Rechtsverhältnisse von Grundeigentümern zu überprüfen und soweit nötig, neu zu verbriefen.
In den Jahren 1525 bis 1528 ging es bei der massenweisen Neuausgabe von Verschreibungen auch darum, sich der Loyalität der Untertanen im neuen Herzogtum zu versichern, die bis dahin Untertanen eines Ordensstaates gewesen waren. Loyalität umfaßt hierbei insbesondere auch die Verpflichtung der freien Gutsbesitzer, in kriegerischen Auseinandersetzungen je nach Größe des Besitzes genau definierte Leistungen zu erbringen.
Bevor wir uns den ältesten Urkunden zuwenden, ist es hilfreich, sich zunächst nicht ganz so alte Quellen anzusehen, um den Entwicklungsgang besser verstehen zu können. In den Kirchenbüchern taucht der Name SAN(d)TRAU seit Beginn der Aufzeichnungen im 17. Jh. im Kirchspiel Caymen im Dorf Sellwethen auf.
Sellwethen liegt knapp 20 Kilometer nordöstlich von Königsberg an der Chaussee in Richtung Labiau. In der Neuzeit gehört es zum Kreis Labiau. Es lag gerade mal einen Kilometer jenseits der Kreisgrenze des Kreises Königsberg (bzw. ab 1938 Kreis Samland) auf Labiauschem Gebiet. Als Nachbardörfer wären zu nennen: Langendorf im Kirchspiel Schaaken, Brasdorf im Kirchspiel Schönwalde, Lethenen und Blöcken im Kirchspiel Caymen, sowie die Güter Perkappen und Wulfshöfen ebenfalls im Kirchspiel Caymen gelegen. Sellwethen wird im 17. und 18. Jh. teilweise auch Serweten genannt. In noch früheren Zeiten findet man die Schreibweisen Salwigaiten, Salweiten oder auch Salwegeyten.
Zuerst läßt sich ein Friedrich SANTRAU 1656 in den Kirchenbüchern finden. Er ist wahrscheinlich um 1630 geboren, wird als Freysaß in Salweiten bezeichnet und übt auch das Amt eines Landgeschworenen sowie eines Kirchenvorstehers in Caymen aus. Die Kirchenbücher in Caymen sind seit 1647 überliefert. 1656 läßt Friedrich SANTRAU den ersten Sohn taufen. Insgesamt sind 5 Kinder Friedrich SANTRAUs bekannt. Bereits 1667 wird er in der Amtsrechnung des Cammeramtes Caymen gemeinsam mit Niß Peterson aus Sielkeim und Christoph Perband als Amtsgeschworener erwähnt.
Die Amtsgeschworenen unterstützen den Amtmann in der Ausübung der sogn. „Kleinen Gerichtsbarkeit“, also jener Rechtsfälle, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Schwerere Verbrechen und bedeutendere Streitfälle gehen an das „Hoffgericht“ in Königsberg. Das Hofgericht hat aber gelegentlich auch Gutachten der Amtsgeschworenen angefordert, weil diese sich mit den örtlichen Gegebenheiten besser auskannten, als die fern in der Hauptstadt nach Aktenlage entscheidenden Richter. Zu Amtsgeschworenen werden in der Regel nur solche Männer berufen, die wegen ihrer Integrität und Ehrlichkeit von den Nachbarn der gesamten Region anerkannt werden und darüber hinaus oft auch ihre eigene „Wirthschaft“ vorbildlich zu führen in der Lage sind und dadurch ökonomisch unabhängig agieren können.
Die Kirchenvorsteher, manchmal auch Kirchenväter genannt, sollen den Pfarrer bei den weltlichen, den finanziellen Angelegenheiten der Kirchengemeinde entlasten. Sie verwalten die Kirchenkasse(n), bezahlen Reparaturarbeiten an der Kirche und den Pfarrgebäuden, bitten um Genehmigung, wenn aus der Kirchenkasse ein Darlehen an Antragsteller ausgegeben werden soll, treiben Forderungen ein und werden von übergeordneten Stellen in ihrer Amtsführung regelmäßig überprüft. Sie müssen also ordentlich rechnen und schreiben können.
Schauen wir uns nun die „Wirthschaft“ jenes Friedrich SANTRAU in der 2. Hälfte des 17. Jh. an:
Er ist ein sogn. „Freysaß“ auf einem Hof von 3 Huben in Sellwethen. Die Hofgröße entspricht in heutigem Maß etwa 50 Hektar. In Amtsunterlagen wird er auch als „Preußischer Freyer“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die ganz eindeutig darauf hin weist, daß das Gut ursprünglich einem der prußischen Ureinwohner verliehen wurde. Die Qualität des Besitzes haftet am Grund und Boden, nicht am Besitzer. Die Herkunft und Abstammung des Friedrich SANTRAU ist damit noch nicht näher erklärt. Er oder einer seiner Vorfahren kann das Gut durch Kauf, Erbschaft oder Heirat erworben haben, ohne selbst zu den prußischen Ureinwohnern gehört zu haben.
Friedrich SANTRAU muß seinen Besitz ertragreich bewirtschaftet haben, denn 1676 kann er einen weiteren Hof dazu erwerben: 2 Huben und 6 Morgen in Bothenen (ca. 35 Hektar) für 600 Mark, zahlbar in 2 Raten à 300 Mark im Herbst und Frühjahr 1677. Dieser Hof hat einem nahen Verwandten gehört (Andreas Schenck), der ohne männliche Erben verstorben war. Der Hof ist ebenfalls ein ursprünglich prußisches Freigut. Die an Prußen ausgegebenen Verschreibungen sind jedoch geringfügig ungünstiger, als jene, die zu sogn. vollen Magdeburgischen Rechten vergeben waren. Ein Weitervererben in weiblicher Linie ist nicht möglich. Der Besitz fällt nach dem Tode des männlichen Besitzers, spätestens nach Versterben dessen letzter Tochter an die Landesherrschaft zurück, geht caduc bzw. wurde caduziert, wie man in der zeittypischen Sprache sagte. Und die Landesherrschaft vergibt den Besitz dann neu. In diesem Fall wird das Land verkauft an Friedrich Santrau. So lautet der Originaltext:
Kundt undt zuwißen sey Hiermitt Jedermänniglich, insonderlich denen daran gelegen, undt zuwißen Vonnöthen, das nach Absterben Seel. Andres Schencken, Pr. Freyen Zu Bottenen, Caymischen Cammer Ambtes, weil derselbe ohne Männerliche Leibes Erben mit Tode abgangen, und also sein gehabtes Pr. Freygutt an Se. Churfürstl Durchl caduciret, Ein Zurecht beständiger Kauff-Contract, mit Friederich Santreun, Freyen Zu Salweiten, und Ambts-Geschworener hiesiges Ambts, alß der Seel. Andres Schencken, nahen Blutts-Freunde, auff ratification Sr. Churfürstl. Durchl. folgender gestalt getroffen worden. Nembliches wirdt Vorgedachtes Freygutt Zu Bottenen Zwey Huben Sechß Morgen an Acker, Wiesen und Wäldern, in Seinen Steinen, Reinen und Grentzen inhaltend, Vorgemeltem Friederich Santreun die Hube umb undt Vor 300 mk Pr. thut von beden Huben 600 mk. ohne eintzigen Besatz, bloß mit denen darauff Verhandenen Gebäuden, und was Nagelfest Verkauffet, und Zu eben denenselben Rechten und Pflichten, wie es sein Vorfahr beseßen, übergeben, Zu seinem besten alß Er immer weis, zubesitzen, Zugenießen und Zugebrauchen. Die Kauffgelder hatt Er solcher gestalt Zuerlegen, nemblich die helfte alß 300 mk. Auff Künfftige Fastnach, undt die andere Helffte alß 300 mk. auff Michaelis des 77.sten Jahres, die Pflichten aber, Hatt Er Von demselben Gutt schon Von dato an Zutragen und über sich zunehmen, die Ufflagen weill solches Vom Freunde gekauffet wirdt, soll nicht gefordert werden, Alles treuerlich und ohne geschwerde, Actum Ceymen den 10ten Septembris Anno 1676
Friedrich SANTRAU will sich nicht grundlos vergrößern. Vielleicht gibt der Umstand den Ausschlag, daß Friedrich seine nicht erbberechtigten Verwandten auf dem Hof in Bothenen durch die Übernahme des Besitzes abzusichern sucht. Außerdem überleben zwei Söhne den Vater, die auf diese Weise angemessen ausgestattet sind. So gibt es später keinen Streit um die Aufteilung des Erbes in Sellwethen. Der ältere Sohn Johann Santrau tritt erst relativ spät in Erscheinung: als Freysaß in Bothenen (auf dem vom Vater hinzuerworbenen Hof), Landgeschworener und Kirchenvorsteher wie sein Vater, läßt er im Jahre 1700, mit 40 Jahren, einen Sohn taufen aus der Ehe mit Catharina Agnes v. BERGEN von Wilditten, einer Tochter des letzten v.BERGEN auf Wilditten.
Möglicherweise verwaltet Johann SANTRAU das ehedem v.Bergensche Gut in Wilditten zusammen mit seinem Hof in Bothenen oder Wilditten ist nach dem Tode des ersten Ehemanns von Catharina Agnes (Johann THIEL) vorübergehend verpachtet worden.
1703 stirbt der alte Friedrich SANTRAU. Das Familiengut in Sellwethen führt der zweite Sohn Anthon(ius) SANTRAU, der auch erst 1701 geheiratet hat: Loysa LENGNICK aus Sielkeim, Tochters des Krügers, Schulzen und Kirchenvorstehers Gabriel LENGNICK.
Die Santrausche Familienkonstellation macht den Eindruck, als ob der dominierende Vater seinen zwei Söhnen erst spät und vielleicht erst mit zunehmender Hinfälligkeit ein eigenständiges Leben zugestanden und die Führung der Höfe überlassen hat.
Auch in dieser Familie wird streng darauf geachtet, daß die Ehepartner aus der gleichen sozialen Schicht stammen, also aus dem Stand der Cöllmer, Freyen oder Krüger, die fast ähnlich wie adelige Gutsbesitzer relativ frei und unabhängig über ihren Besitz verfügen können und durch Steuern, Abgaben und Dienstpflichten relativ gering belastet sind.
Die Ehepartner der SANTRAUs findet man in allen namhaften Cöllmerfamilien der Region: die TOLNEYs als Nachbarn in Sellwethen sind häufiger vertreten, dann z.B. SCHWEICHLER aus Senseln, HEMPEL aus Cropiens, DEWIEN aus Bothenen, HENNIG aus Wilditten. Auch Ehepartner aus Pächterfamilien der adeligen Güter werden als gleichrangig akzeptiert. Fähige Pächter großer Güter stammen eigentlich immer aus Cöllmerfamilien, in denen sie von Kind auf alles notwenige erlernt haben.
Die folgenden Generationen der SANTRAU-Familie sind bis zu Beginn des 19. Jh. ganz gut nachzuweisen gewesen. Erst dann verlieren sich allmählich die Spuren, vielleicht durch Abwanderung nach Königsberg oder in andere Landesteile.
Aber springen wir noch einmal zurück zu der Frage nach der Herkunft der SANTRAUs: sind sie von irgend woher aus dem Westen eingewandert, oder stammen sie von prußischen Ureinwohnern ab? Was sagen die ältesten Urkunden aus?
Im sogn. Grünen Hausbuch des Hauptamtes Schaaken sind die ältesten Besitzverschreibungen verzeichnet. Auf der Seite 379 dieses dicken Folianten finde ich eine Verschreibung aus dem Jahre 1528 :
Thewes Friderich Sentre(n)kin zu Salbeigeitn
Von gotts genaden Wir Albrecht Marggraff zu Brandenburgk In preussen Zu Stettin pomern der Cassuben und wenden Hertzogk Burggraff zu Nurembergk und Fürst zu Rügen Bekennen und thun kunt fuer uns unser Erben und nachkomen gen Idermennigklich diß unsers brieffs ansichtig, das wir geben und verleyhen unserm lieben getreuen Thewes Sentrenkin seinen Rechten Erben und nachkomlingen fünff drey Huben gelegen Im felde des Dorffs Salweigeyten Im CamerAmpt Keimen gelegen An Acker wysen weyden welden puschern und pruchern Alß Inen dieselben von unseren Vorfahrenn binnen ihren grentzen Eigentlich sein beweyset frey von lehenden und gebeuelicher Arbeyt Erblich und Ewigklich zu preuschen Rechten zu besitzen. Darzu von sunderlicher gunst geben wir ihnen sechstzehen margk wehrgeldes. Umb disser gabe und verleyhung wyllen sol der vorbenumpte thewes seine Erben und nachkomling uns unsern Erben und nachkomen pflichtig sein und verbunden getreulichen zudinen Myt Hengst und Harnisch Nach disses landes gewonhayt zu Allen herfarten landthwehren und geschreien (;) Neue heuser zu bauen Alte zu bessern oder zu brechen wan wie dick und wo hin si gefoddert werden. Desgleichen Allewege Im Dryten Jahre Zwene scheffel rogkenn zu schalmenkorn geben und sunst alles das Ihenige thun das Ihre vorfahren von vor Alters her gethan haben treulich und ungeferlich zu urkundt Myt unserm Anhangenden Ingesigel besigelt und geben zu Konnigkspergk Am tage Remigii Im Funfftzehenhunderten und Im Achtundzwantzigstenn Jare.
In der Überschrift ist der Name Thewes gestrichen und in anderer Schrift mit Friedrich überschrieben, was eine Aktualisierung auf einen späteren Besitzer sein könnte. Möglicherweise ist hier der uns bereits bekannte Friedrich gemeint. SENTRENKIN wird in der Überschrift mit E und Oberstrich geschrieben, was nach alter Lesart einem fehlenden N entsprechen könnte. Im folgenden Text finde ich die Schreibweise SENTRENKIN ohne entstellende Kürzel, die sich nach allen bekannten Informationen sehr nach prußischen Ursprüngen anhört. Demnach kann man Bezüge zu einer westlichen Herkunft ausschließen. Es ist eher anzunehmen, daß der ursprünglich prußische Name allmählich lautlich angepaßt wurde an aktuell übliche Gepflogenheiten. Letztendlich hat sich auf diese Weise dann wohl aus SENTRENKIN die Form SANTRAU gebildet. Die anderen Angaben in der Verschreibung bestätigen die Vermutung: Wehrgeld bekamen nur die Prußen zugestanden. Die vor der Angabe der Besitzgröße durchgestrichene Zahl 5, die dann in 3 berichtigt wurde, könnte sich auf das für prußischen Grundbesitz übliche Flächenmaß Haken beziehen, was wiederum ein deutliches Indiz für die Annahme eines prußischen Ursprungs der Familie ist.
Patrick Plew, der Herausgeber der Ortsfamilienbücher (OFB), wies darauf hin, daß in der Neuausgabe des OFB Caymen in den Erläuterungen zum Ort Sellwethen aus den ältesten Urkunden zitiert wird. Darin heißt es unter anderem:
>> 4.7.1423 Ober-Marschall Ludwig von Lanssee verleiht den Gebrüdern Santrucke und Friedrich 3 Hufen im Felde zu Salweygeithen (erneuert für Thewes Santruck 1.10.1528)
22.5.1459 Hochmeister Ludwig von Erlichshausen verschreibt dem Hans Santronokyn, Avik und Jacob 2 Hufen Übermaß an Strauch und Viehweide in Salwitten <<
(Informationen zur Herausgabe der OFBs siehe http://www.plew.info/ofb_allgemein.htm)
Festzuhalten ist, die Familie gehört zu den Ureinwohnern des Preußenlandes, hat bereits 1423 auf dem Besitz gesessen und bekam darüber nach dem Wechsel der Regierungsform vom Ordensstaat zum Herzogtum eine neue Bestätigung. Knapp 150 Jahre später führt Friedrich SANTRAU (Santreu, Sandtrau) den Hof, der dann bis ins 19. Jh. weiter im Familienbesitz bleibt.
Ich gebe gern umfassend Auskunft zu den Genealogien aller hier genannter Familiennamen und freue mich auch über Hinweise und Ergänzungen.
kann man die Verbreitung von Familiennamen auf der Basis älterer Telefonbücher überprüfen. Besonders schön sind dabei die verschiedenen Anzeigemöglichkeiten (unbedingt mal ausprobieren mit den eigenen Wunschnamen!). Allerdings tauchen auch in dieser Quelle nicht wesentlich mehr der hier diskutierten Namensträger auf: 10 Mal SANTRAU, 1 Mal SANDTRAU, 4 Mal SANDRAU.
Was hat es nun für eine Bewandtnis mit diesem Namen? Wenn man nach ähnlich klingenden deutschen Ortsnamen sucht, findet sich ein SANDERAU (Stadtteil von Würzburg), sowie ein SANDRAU in Sachsen. So liegt die Vermutung nahe, die Familie sei möglicherweise von dort nach Preußen eingewandert. Welche Wurzeln lassen sich in alten preußischen Urkunden ermitteln?
Der Familienname SANTRAU, gelegentlich auch SANDTRAU geschrieben, läßt sich urkundlich seit dem Beginn der Regierungszeit Herzog Albrechts in Preußen nachweisen. Allerdings bedeuten die auffällig zahlreich ausgegebenen Besitzverschreibungen in den seltensten Fällen, daß diese Urkunden einen Neuerwerb amtlich bestätigen. Um die Verwaltung des neu installierten Herzogtums auf dem Gebiet des Ordensstaates auf solide Grundlagen zu stellen, war es notwendig, sämtliche Rechtsverhältnisse von Grundeigentümern zu überprüfen und soweit nötig, neu zu verbriefen.
In den Jahren 1525 bis 1528 ging es bei der massenweisen Neuausgabe von Verschreibungen auch darum, sich der Loyalität der Untertanen im neuen Herzogtum zu versichern, die bis dahin Untertanen eines Ordensstaates gewesen waren. Loyalität umfaßt hierbei insbesondere auch die Verpflichtung der freien Gutsbesitzer, in kriegerischen Auseinandersetzungen je nach Größe des Besitzes genau definierte Leistungen zu erbringen.
Bevor wir uns den ältesten Urkunden zuwenden, ist es hilfreich, sich zunächst nicht ganz so alte Quellen anzusehen, um den Entwicklungsgang besser verstehen zu können. In den Kirchenbüchern taucht der Name SAN(d)TRAU seit Beginn der Aufzeichnungen im 17. Jh. im Kirchspiel Caymen im Dorf Sellwethen auf.
Sellwethen liegt knapp 20 Kilometer nordöstlich von Königsberg an der Chaussee in Richtung Labiau. In der Neuzeit gehört es zum Kreis Labiau. Es lag gerade mal einen Kilometer jenseits der Kreisgrenze des Kreises Königsberg (bzw. ab 1938 Kreis Samland) auf Labiauschem Gebiet. Als Nachbardörfer wären zu nennen: Langendorf im Kirchspiel Schaaken, Brasdorf im Kirchspiel Schönwalde, Lethenen und Blöcken im Kirchspiel Caymen, sowie die Güter Perkappen und Wulfshöfen ebenfalls im Kirchspiel Caymen gelegen. Sellwethen wird im 17. und 18. Jh. teilweise auch Serweten genannt. In noch früheren Zeiten findet man die Schreibweisen Salwigaiten, Salweiten oder auch Salwegeyten.
Zuerst läßt sich ein Friedrich SANTRAU 1656 in den Kirchenbüchern finden. Er ist wahrscheinlich um 1630 geboren, wird als Freysaß in Salweiten bezeichnet und übt auch das Amt eines Landgeschworenen sowie eines Kirchenvorstehers in Caymen aus. Die Kirchenbücher in Caymen sind seit 1647 überliefert. 1656 läßt Friedrich SANTRAU den ersten Sohn taufen. Insgesamt sind 5 Kinder Friedrich SANTRAUs bekannt. Bereits 1667 wird er in der Amtsrechnung des Cammeramtes Caymen gemeinsam mit Niß Peterson aus Sielkeim und Christoph Perband als Amtsgeschworener erwähnt.
Die Amtsgeschworenen unterstützen den Amtmann in der Ausübung der sogn. „Kleinen Gerichtsbarkeit“, also jener Rechtsfälle, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Schwerere Verbrechen und bedeutendere Streitfälle gehen an das „Hoffgericht“ in Königsberg. Das Hofgericht hat aber gelegentlich auch Gutachten der Amtsgeschworenen angefordert, weil diese sich mit den örtlichen Gegebenheiten besser auskannten, als die fern in der Hauptstadt nach Aktenlage entscheidenden Richter. Zu Amtsgeschworenen werden in der Regel nur solche Männer berufen, die wegen ihrer Integrität und Ehrlichkeit von den Nachbarn der gesamten Region anerkannt werden und darüber hinaus oft auch ihre eigene „Wirthschaft“ vorbildlich zu führen in der Lage sind und dadurch ökonomisch unabhängig agieren können.
Die Kirchenvorsteher, manchmal auch Kirchenväter genannt, sollen den Pfarrer bei den weltlichen, den finanziellen Angelegenheiten der Kirchengemeinde entlasten. Sie verwalten die Kirchenkasse(n), bezahlen Reparaturarbeiten an der Kirche und den Pfarrgebäuden, bitten um Genehmigung, wenn aus der Kirchenkasse ein Darlehen an Antragsteller ausgegeben werden soll, treiben Forderungen ein und werden von übergeordneten Stellen in ihrer Amtsführung regelmäßig überprüft. Sie müssen also ordentlich rechnen und schreiben können.
Schauen wir uns nun die „Wirthschaft“ jenes Friedrich SANTRAU in der 2. Hälfte des 17. Jh. an:
Er ist ein sogn. „Freysaß“ auf einem Hof von 3 Huben in Sellwethen. Die Hofgröße entspricht in heutigem Maß etwa 50 Hektar. In Amtsunterlagen wird er auch als „Preußischer Freyer“ bezeichnet, eine Bezeichnung, die ganz eindeutig darauf hin weist, daß das Gut ursprünglich einem der prußischen Ureinwohner verliehen wurde. Die Qualität des Besitzes haftet am Grund und Boden, nicht am Besitzer. Die Herkunft und Abstammung des Friedrich SANTRAU ist damit noch nicht näher erklärt. Er oder einer seiner Vorfahren kann das Gut durch Kauf, Erbschaft oder Heirat erworben haben, ohne selbst zu den prußischen Ureinwohnern gehört zu haben.
Friedrich SANTRAU muß seinen Besitz ertragreich bewirtschaftet haben, denn 1676 kann er einen weiteren Hof dazu erwerben: 2 Huben und 6 Morgen in Bothenen (ca. 35 Hektar) für 600 Mark, zahlbar in 2 Raten à 300 Mark im Herbst und Frühjahr 1677. Dieser Hof hat einem nahen Verwandten gehört (Andreas Schenck), der ohne männliche Erben verstorben war. Der Hof ist ebenfalls ein ursprünglich prußisches Freigut. Die an Prußen ausgegebenen Verschreibungen sind jedoch geringfügig ungünstiger, als jene, die zu sogn. vollen Magdeburgischen Rechten vergeben waren. Ein Weitervererben in weiblicher Linie ist nicht möglich. Der Besitz fällt nach dem Tode des männlichen Besitzers, spätestens nach Versterben dessen letzter Tochter an die Landesherrschaft zurück, geht caduc bzw. wurde caduziert, wie man in der zeittypischen Sprache sagte. Und die Landesherrschaft vergibt den Besitz dann neu. In diesem Fall wird das Land verkauft an Friedrich Santrau. So lautet der Originaltext:
Kundt undt zuwißen sey Hiermitt Jedermänniglich, insonderlich denen daran gelegen, undt zuwißen Vonnöthen, das nach Absterben Seel. Andres Schencken, Pr. Freyen Zu Bottenen, Caymischen Cammer Ambtes, weil derselbe ohne Männerliche Leibes Erben mit Tode abgangen, und also sein gehabtes Pr. Freygutt an Se. Churfürstl Durchl caduciret, Ein Zurecht beständiger Kauff-Contract, mit Friederich Santreun, Freyen Zu Salweiten, und Ambts-Geschworener hiesiges Ambts, alß der Seel. Andres Schencken, nahen Blutts-Freunde, auff ratification Sr. Churfürstl. Durchl. folgender gestalt getroffen worden. Nembliches wirdt Vorgedachtes Freygutt Zu Bottenen Zwey Huben Sechß Morgen an Acker, Wiesen und Wäldern, in Seinen Steinen, Reinen und Grentzen inhaltend, Vorgemeltem Friederich Santreun die Hube umb undt Vor 300 mk Pr. thut von beden Huben 600 mk. ohne eintzigen Besatz, bloß mit denen darauff Verhandenen Gebäuden, und was Nagelfest Verkauffet, und Zu eben denenselben Rechten und Pflichten, wie es sein Vorfahr beseßen, übergeben, Zu seinem besten alß Er immer weis, zubesitzen, Zugenießen und Zugebrauchen. Die Kauffgelder hatt Er solcher gestalt Zuerlegen, nemblich die helfte alß 300 mk. Auff Künfftige Fastnach, undt die andere Helffte alß 300 mk. auff Michaelis des 77.sten Jahres, die Pflichten aber, Hatt Er Von demselben Gutt schon Von dato an Zutragen und über sich zunehmen, die Ufflagen weill solches Vom Freunde gekauffet wirdt, soll nicht gefordert werden, Alles treuerlich und ohne geschwerde, Actum Ceymen den 10ten Septembris Anno 1676
Friedrich SANTRAU will sich nicht grundlos vergrößern. Vielleicht gibt der Umstand den Ausschlag, daß Friedrich seine nicht erbberechtigten Verwandten auf dem Hof in Bothenen durch die Übernahme des Besitzes abzusichern sucht. Außerdem überleben zwei Söhne den Vater, die auf diese Weise angemessen ausgestattet sind. So gibt es später keinen Streit um die Aufteilung des Erbes in Sellwethen. Der ältere Sohn Johann Santrau tritt erst relativ spät in Erscheinung: als Freysaß in Bothenen (auf dem vom Vater hinzuerworbenen Hof), Landgeschworener und Kirchenvorsteher wie sein Vater, läßt er im Jahre 1700, mit 40 Jahren, einen Sohn taufen aus der Ehe mit Catharina Agnes v. BERGEN von Wilditten, einer Tochter des letzten v.BERGEN auf Wilditten.
Möglicherweise verwaltet Johann SANTRAU das ehedem v.Bergensche Gut in Wilditten zusammen mit seinem Hof in Bothenen oder Wilditten ist nach dem Tode des ersten Ehemanns von Catharina Agnes (Johann THIEL) vorübergehend verpachtet worden.
1703 stirbt der alte Friedrich SANTRAU. Das Familiengut in Sellwethen führt der zweite Sohn Anthon(ius) SANTRAU, der auch erst 1701 geheiratet hat: Loysa LENGNICK aus Sielkeim, Tochters des Krügers, Schulzen und Kirchenvorstehers Gabriel LENGNICK.
Die Santrausche Familienkonstellation macht den Eindruck, als ob der dominierende Vater seinen zwei Söhnen erst spät und vielleicht erst mit zunehmender Hinfälligkeit ein eigenständiges Leben zugestanden und die Führung der Höfe überlassen hat.
Auch in dieser Familie wird streng darauf geachtet, daß die Ehepartner aus der gleichen sozialen Schicht stammen, also aus dem Stand der Cöllmer, Freyen oder Krüger, die fast ähnlich wie adelige Gutsbesitzer relativ frei und unabhängig über ihren Besitz verfügen können und durch Steuern, Abgaben und Dienstpflichten relativ gering belastet sind.
Die Ehepartner der SANTRAUs findet man in allen namhaften Cöllmerfamilien der Region: die TOLNEYs als Nachbarn in Sellwethen sind häufiger vertreten, dann z.B. SCHWEICHLER aus Senseln, HEMPEL aus Cropiens, DEWIEN aus Bothenen, HENNIG aus Wilditten. Auch Ehepartner aus Pächterfamilien der adeligen Güter werden als gleichrangig akzeptiert. Fähige Pächter großer Güter stammen eigentlich immer aus Cöllmerfamilien, in denen sie von Kind auf alles notwenige erlernt haben.
Die folgenden Generationen der SANTRAU-Familie sind bis zu Beginn des 19. Jh. ganz gut nachzuweisen gewesen. Erst dann verlieren sich allmählich die Spuren, vielleicht durch Abwanderung nach Königsberg oder in andere Landesteile.
Aber springen wir noch einmal zurück zu der Frage nach der Herkunft der SANTRAUs: sind sie von irgend woher aus dem Westen eingewandert, oder stammen sie von prußischen Ureinwohnern ab? Was sagen die ältesten Urkunden aus?
Im sogn. Grünen Hausbuch des Hauptamtes Schaaken sind die ältesten Besitzverschreibungen verzeichnet. Auf der Seite 379 dieses dicken Folianten finde ich eine Verschreibung aus dem Jahre 1528 :
Von gotts genaden Wir Albrecht Marggraff zu Brandenburgk In preussen Zu Stettin pomern der Cassuben und wenden Hertzogk Burggraff zu Nurembergk und Fürst zu Rügen Bekennen und thun kunt fuer uns unser Erben und nachkomen gen Idermennigklich diß unsers brieffs ansichtig, das wir geben und verleyhen unserm lieben getreuen Thewes Sentrenkin seinen Rechten Erben und nachkomlingen fünff drey Huben gelegen Im felde des Dorffs Salweigeyten Im CamerAmpt Keimen gelegen An Acker wysen weyden welden puschern und pruchern Alß Inen dieselben von unseren Vorfahrenn binnen ihren grentzen Eigentlich sein beweyset frey von lehenden und gebeuelicher Arbeyt Erblich und Ewigklich zu preuschen Rechten zu besitzen. Darzu von sunderlicher gunst geben wir ihnen sechstzehen margk wehrgeldes. Umb disser gabe und verleyhung wyllen sol der vorbenumpte thewes seine Erben und nachkomling uns unsern Erben und nachkomen pflichtig sein und verbunden getreulichen zudinen Myt Hengst und Harnisch Nach disses landes gewonhayt zu Allen herfarten landthwehren und geschreien (;) Neue heuser zu bauen Alte zu bessern oder zu brechen wan wie dick und wo hin si gefoddert werden. Desgleichen Allewege Im Dryten Jahre Zwene scheffel rogkenn zu schalmenkorn geben und sunst alles das Ihenige thun das Ihre vorfahren von vor Alters her gethan haben treulich und ungeferlich zu urkundt Myt unserm Anhangenden Ingesigel besigelt und geben zu Konnigkspergk Am tage Remigii Im Funfftzehenhunderten und Im Achtundzwantzigstenn Jare.
In der Überschrift ist der Name Thewes gestrichen und in anderer Schrift mit Friedrich überschrieben, was eine Aktualisierung auf einen späteren Besitzer sein könnte. Möglicherweise ist hier der uns bereits bekannte Friedrich gemeint. SENTRENKIN wird in der Überschrift mit E und Oberstrich geschrieben, was nach alter Lesart einem fehlenden N entsprechen könnte. Im folgenden Text finde ich die Schreibweise SENTRENKIN ohne entstellende Kürzel, die sich nach allen bekannten Informationen sehr nach prußischen Ursprüngen anhört. Demnach kann man Bezüge zu einer westlichen Herkunft ausschließen. Es ist eher anzunehmen, daß der ursprünglich prußische Name allmählich lautlich angepaßt wurde an aktuell übliche Gepflogenheiten. Letztendlich hat sich auf diese Weise dann wohl aus SENTRENKIN die Form SANTRAU gebildet. Die anderen Angaben in der Verschreibung bestätigen die Vermutung: Wehrgeld bekamen nur die Prußen zugestanden. Die vor der Angabe der Besitzgröße durchgestrichene Zahl 5, die dann in 3 berichtigt wurde, könnte sich auf das für prußischen Grundbesitz übliche Flächenmaß Haken beziehen, was wiederum ein deutliches Indiz für die Annahme eines prußischen Ursprungs der Familie ist.
Patrick Plew, der Herausgeber der Ortsfamilienbücher (OFB), wies darauf hin, daß in der Neuausgabe des OFB Caymen in den Erläuterungen zum Ort Sellwethen aus den ältesten Urkunden zitiert wird. Darin heißt es unter anderem:
>> 4.7.1423 Ober-Marschall Ludwig von Lanssee verleiht den Gebrüdern Santrucke und Friedrich 3 Hufen im Felde zu Salweygeithen (erneuert für Thewes Santruck 1.10.1528)
22.5.1459 Hochmeister Ludwig von Erlichshausen verschreibt dem Hans Santronokyn, Avik und Jacob 2 Hufen Übermaß an Strauch und Viehweide in Salwitten <<
(Informationen zur Herausgabe der OFBs siehe http://www.plew.info/ofb_allgemein.htm)
Festzuhalten ist, die Familie gehört zu den Ureinwohnern des Preußenlandes, hat bereits 1423 auf dem Besitz gesessen und bekam darüber nach dem Wechsel der Regierungsform vom Ordensstaat zum Herzogtum eine neue Bestätigung. Knapp 150 Jahre später führt Friedrich SANTRAU (Santreu, Sandtrau) den Hof, der dann bis ins 19. Jh. weiter im Familienbesitz bleibt.
Ich gebe gern umfassend Auskunft zu den Genealogien aller hier genannter Familiennamen und freue mich auch über Hinweise und Ergänzungen.
Labels: Genealogie, Ostpreussen, Preussen, Santrau, Sellwethen
3 Kommentare:
Guten Tag :)
Durch Zufall habe ich diesen Beitrag entdeckt, da ich Ahnenforschung im Ort Anklam betreibe. Die älteste meiner Familie zugehörige Person konnte ich nur bis zu einem Ernst Paul Santrau zurückverfolgen (19. Jahrhundert).
Ich kenne bei 'meinen' SANTRAUs leider keinen Ernst Paul. Um einen ZUsammenhang zu entdecken, muss man vielleicht die Herkunft des Ernst Paul SANTRAU in Anklam genauer untersuchen.
Wir haben leider nur einen Nachruf für seinen Engagement im damaligen Kommunismus im Ort. Dadurch fanden wir Ehepartner und Co. gefunden. Eigene Recherchen haben leider auch keine Verbindung mehr gefunden. Lediglich Gerüchte. Möglicherweise einen Hans Santrau der 1914 gefallen ist.
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