Ein Spaziergang am Wannsee mit kulturhistorischen Seitenblicken
Auch der gestrige Samstag war so frisch, leicht frostig, tiefblau und sonnig. Ich traf mich mit einer Freundin nach langer Zeit mal wieder zu einem Spaziergang: den Wannsee entlang vom alten Strandbad aus Richtung Norden bis zum Grunewaldturm. Sabine arbeitet als Journalistin, als Autorin fürs Radio, schreibt aber auch mal an einem Buch. Vor einigen Jahren hatte sie meine Familiengeschichte als Thema für ein Feature verarbeitet. Was bedeuten traumatische Ereignisse durch Krieg, Flucht und Vertreibung für die nachfolgende Generation? Wirkt sich diese Vergangenheit in irgend einer Form aus auf die weitere Lebensgestaltung der Kinder? Interviews mit meinen Eltern, von mir und meinem jüngeren Bruder wurden zu einer halbstündigen Radiosendung verdichtet.
Wir lieben es beide an frischer Luft mit den Beinen auch den Geist zu bewegen, erzählen uns allerhand aufgesammelte Eindrücke, Ideen und Pläne. Eines ihrer Spezialthemen sind eben auch Krieg und die Folgen: sie hat mit vielen Opfern und auch Tätern z.B. aus den Balkangebieten oder Tschetschenien gesprochen, Psychologen und Ärzte interviewt, war z.B. mit deutschen Soldaten in Kabul ... Und immer wieder die Fragen nach dem Warum und Wieso sich Menschen so etwas ständig antun.
Der Spaziergang führte uns auch an Schwanenwerder vorbei, eine Insel im Wannsee, die über einen kurzen Damm bequem erreichbar ist. Traumhafte Lage: ringsherum in der Sonne glitzerndes Wasser, die in der Ferne sichtbaren Ufer hügelig kiefernbewaldet und alles in dieses spezielle fast italienisch anmutende Licht getaucht. Jene kleine Insel wurde ab ca. 1900 mit einigen schloßartigen Villen incl. Gärtner- und Bootshäuschen usw. bebaut. Die Crème de la Crème von Berlin ließ sich hier standesgemäß nieder. Ab 1933 gab es abrupte Besitzerwechsel und dann sind die prachtvollen Wohnsitze auf Schwanenwerder häufig Kulisse von Wochenschauberichten, wenn z.B. Herr Göbbels dort zum Geburtstag seiner Frau Grüße des Führers empfängt oder so ähnlich. Geschichte ist hier in Berlin ja noch überall sichtbar, wenn man ein Gedächtnis und einen Sinn dafür hat...
Am Endpunkt unserer Wanderung steht dann ein Architekturdenkmal aus noch Wilhelminischer Zeit: der Grunewaldturm, ein roter Ziegelbau spitzig über die Bewaldung in den Himmel ragend mit einem atemberaubenden Ausblick. Historisch harmlos aus noch unbefleckt glanzvoller Zeit... Nun ja - in der sozusagen Belétage des Turms befindet sich ein offenes Gewölbe, sakral anmutend mit Goldmosaik verziert und einer überlebensgroßen Statue von Kaiserwillemeins. Der Turm wurde zur Verherrlichung von Kaiser und König anno Domini 1900 errichtet, so weithin an den Turmwänden durch entsprechende Inschriften sichtbar. Das historische Kurzzeitgedächtnis schien die damals gut 50 Jahre zurückliegenden Ereignisse nicht mehr erinnern zu wollen. 1848 mußte Prinz Wilhelm auf Befehl seines regierenden Bruders König Friedrich Wilhelm IV. Preußen incognito Richtung England verlassen, um die revolutionären Umtriebe in Berlin nicht noch weiter zu provozieren. Er war damals als "Kartätschenprinz" verrufen, weil er wütend in die unbewaffnete Menge schießen ließ. 10 Jahre später übernahm er dann die Regierung für seinen kinderlosen Bruder, der zunehmend altersdement sein Amt nicht mehr ausüben konnte. Im Zusammenwirken mit dem auf seine Art genialen Bismarck konnte König Wilhelm durch gerissene politische Schachzüge und drei kühn inszenierte Kriege nach ca. 12 Regierungsjahren endlich (fast) alle anderen souveränen deutschen Staaten unter preußischen Vorsitz zum sogn. Deutschen Reich zusammenraffen und sich die Kaiserkrone aufsetzen (lassen) ... 1871 im Spiegelsaal zu Versailles, einem Ort, der kaum acht Jahrzehnte früher die Kulisse für das schmachvolle, blutige Ende einer glanzvollen Herrscherdynastie abgab! Ein auch symbolisch zutiefst fragwürdig inszenierter Coup aus meiner Sicht!
Wie schon fast traditionell üblich in der Familie Hohenzollern, war das Verhältnis von Vater Kaiserwillem und Sohn Prinz Friedrich (verheiratet mit Princess Royal Victoria, Tochter jener gleichnamigen Queen of England, Empress of India etc.) nicht das Beste. Der Kaiserpapa hat sich jedwede Beteiligung seines Sohnes an den Regierungsgeschäften strikt verbeten. Sohn Friedrich blieb nichts anderes übrig, als fern der Heimat auf seiner Luxusjacht mit seiner Princess Royal vor irgend einer Riviera zu kreuzen, obwohl so große Hoffnungen auf ihn und seine liberalere, weltoffene Haltung gesetzt wurden. Als dann endlich 1888 der hochbetagte Willem in die ewigen Jagdgründe einging, war sein Sohn schon so schwer an Kehlkopfkrebs (!) erkrankt, daß er seinen Vater als Kaiser Friedrich III. nur um 100 Tage überlebte und sein junger, ebenso ehrgeiziger wie unerfahrener Sohn, Willemzwei genannt, drankam mit Regieren, der dann auch ziemlich bald den Zorn seiner Großmutter in London erregte: "Nasty Willy...."
Das gespannte Familienverhältnis zwischen englischer Oma und preußischem Enkel trug unter anderem bei zu dem gesamteuropäischen Spannungsverhältnis der Nationen, welches dann in den Weltkrieg führte, der später zur besseren Unterscheidung mit der Ziffer 1 belegt wurde, dessen Folgen dann nahezu zwangsläufig in das Ereignis gleichen Namens Nr. 2 führte, dessen Folgen sich wiederum heute in unseren Familiengeschichten manifestieren.
Labels: Berlin, Preussische Geschichte, Schwanenwerder, Wannsee
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