Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Montag, 27. Oktober 2008

Frauengeschichte(n) 1549

Frauen treten in den früheren Jahrhunderten genealogischer Forschung nur selten oder wenn, dann recht unscheinbar auf. Im 16. und 17. Jahrhundert werden selbst in den Kirchenbüchern die Mütter und Frauen kaum erwähnt. Der Mann läßt taufen und wird mit Namen und Stand eingetragen. Die Ehefrau und Mutter erscheint, wenn überhaupt, nur mit Nennung des Vornamens. Erst ab dem 18. Jahrhundert setzt sich allgemein durch, in den Taufregistern auch die Mutter mit vollem Namen einzutragen. Selbst unter den oft zahlreich eingetragenen Taufpaten verbergen sich Frauen meist hinter dem Namen des jeweiligen Ehemannes (z.B. Peter Müller uxor, Peter Müllersche oder einfach nur Müllerin). So wird es oft schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die weiblichen Linien weiter zurückzuverfolgen, zumal oft die Trauregister der frühen Jahre verloren gegangen sind.


Wenn denn Frauen als Individuen in der frühen Genealogie in Erscheinung treten, so ist das immer als etwas besonderes zu werten. Begünstigt durch Besitz und Vermögen, durch Stand und Ruf des Ehemannes oder der Herkunftsfamilie können Frauen auch selbstbewußt und eigenständig auftreten im Rahmen dessen, was in der jeweiligen Zeit üblich war.

Mein vorerst frühestes, belegtes Beispiel für weiblichen Anteil an (Familien-)Geschichte ist die Witwe des Geschütz- und Glockengießers Heinrich von Schwichell. Heinrich arbeitete unter dem letzten Hochmeister des preußischen Ordenslandes bzw. dem ersten Herzog: Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach. 1542 nahm Heinrich ein Gut von 7 Hufen in den fruchtbaren Pregelniederungen etwa 20 km östlich von Königsberg in Besitz. 1549 muß Heinrichs Witwe Margareta an den Herzog schreiben, weil Verwaltungsbeamte des Herzogs die verbrieften Rechte jenes Besitzes mißachteten:

>>... So will mich nuhmals EFG (Kurzformel für: Euer Fürstliche Gnaden) Hauptman zu Waldaw zu scharrwerk zwingen und dryngen welchs ich formals befreyet und noch Bynn, wie daß die Verschreibung clar anzeigt, auff die ich mich thu Ziehen. Dar Zu auch gnedigster Fürst und Her hat mein ehlicher man und ich einen seh gehabt. Dar Inne vor unserer notturfft gefisschet zu unserm tische. So von wir auch Jar ierlich, vier marck mussen Zynsen. Die selbige fisscherey entzocht uns der Hauptman auch. Dadurch ich denn mit den meynigen merklichen nachteyll zu meyner narung leyde. Darumb gnedigster Fürst und Her Bitte ich arme verlassene Witbfrau EFG mit gantzer Demuth EFG wolten mir armen Frauen und den meynen so gnedig erscheynen und dem Hauptman von Waldaw befelen und gnediglich dahyn weysen daß ich arme Witbfrau mit den meynen uber unser befreyhung erhalten megen werden und darüber zu keynem scharrwerk wider billigkeit gedrungen werden. Da neben auch, bey der fysscherey so wir allezeit bis her, umb den Zinß ierlich gehabt, auff EFG bevell bleyben und erhalten mogen werden.<<

Wenn man mit dem zeitgenössischen Briefstil zwischen Untertan und Herrscher vertraut ist, klingen diese Zeilen außergewöhnlich direkt. Margareta kommt unumwunden zur Sache und macht klar, was sie erreichen will. Sie vergißt nicht zu erwähnen, daß sie das Recht in Form von schriftlichen Urkunden auf ihrer Seite hat. Die Höflichkeits- und Untergebenheitsfloskeln entsprechen nur dem Minimum dessen, was in der Zeit üblich ist.


Die Amtmänner in den jeweiligen Verwaltungsbezirken arbeiten sozusagen auf eigene Rechnung und versuchen, so viel wie möglich an Steuern und Dienstleistungen herauszuwirtschaften. Allerdings sind auch sie an die geltenden Rechte gebunden. Aber, dachte sich wohl der Waldauer Amtmann, bei einer Witwe kann man es ja mal versuchen. Margareta weiß dem wirkungsvoll und selbstbewußt zu begegnen.

Die Herkunft und der Familienname jener Margareta bleibt im Dunkeln. 1515 reist Heinrich von Schwichell nach Kampen in Holland, um von dort seine Frau nach Preußen zu holen, seit er vom preußischen Hochmeister in Dienst auf Lebenszeit genommen wurde. Ob das jene Margareta war, oder ob Heinrich mehrmals heiratete, kann aus den vorhandenen Quellen nicht mehr schlüssig nachgewiesen werden. Kirchenbücher gibt es zu der Zeit in Preußen noch nicht. Kampen war die Heimatstadt von Geert van Wou (1450-1527), dem berühmtesten Glockengießer seiner Zeit. Höchstwahrscheinlich hat Heinrich vor seiner Zeit im Baltikum und Preußen dort gearbeitet und auf diesem Wege in Kampen seine Frau kennengelernt. Vielleicht war Margarete eine Verwandte des Geert van Wou...? Diese Frage wird wohl ein Familiengeheimnis bleiben. Im Gemeentearchief in Kampen ließen sich aus der Zeit und mit diesem Bezug keine Dokumente mehr finden (www.gemeentearchiefkampen.nl/).

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