Die SCHMADTKEs in Ostpreußen
Ella Schmadtke 1918 |
Meine Großmutter Ella HAUPT, geb.
SCHMADTKE (1895-1987) berichtete von einer Familienlegende: die
Schmadtkes sollen aus Polen stammen, hätten dort früher zum Adel
gehört und ein Urahn habe nach Preußen fliehen müssen aus Gründen,
die nicht mehr eindeutig benannt werden konnten. In Rede standen
unerlaubte Ehrenhändel, ein Duell, ein Streit mit Vertretern höherer
Stände oder mit Vorgesetzten. Es klang je nach Stimmungslage recht
melodramatisch. Ella sagte, ihr Onkel Richard Schmadtke (1878-1934)
hätte noch alte Dokumente besessen, die die Geschichte hätte
erhellen können. Richard Schmadtke, der Onkel, war 1921-1933 Lehrer
und Amtsvorsteher in Reipen, Kreis Wehlau, wie ich später
herausfand. Seine Nachkommen, die ich nach spannenden Ermittlungen entdeckte, wußten enttäuschenderweise nichts von alten Familiendokumenten.
Richard Schmadtke |
Aber nun will ich der Reihe nach berichten, was die Forschungen zu den Schmadtkes ergeben haben:
Großmutter Ella wurde 1895 in
Canditten im Kreis Pr. Eylau geboren. Hier habe ich
schon einmal von ihr berichtet:
http://genealogischenotizen.blogspot.de/2011/12/meine-gromutter-ella-haupt-geb.html
Ferdinand Schmadtke |
Ihr Vater Ferdinand stammte aus Grünwalde bei Landsberg, ebenso im
Kreis Preußisch Eylau gelegen (die hier erwähnten Brüder Richard und Julius haben den gleichen Herkunftsort). Dort bewirtschafteten die Schmadtkes
seit 1824 einen Hof von ca. 80 Morgen, der ihnen
wahrscheinlich durch Einheirat zugefallen war. Daniel Schmadtke
(1790-1862) hat den Grünwalder Zweig seinerzeit gegründet, der sich
von dort zahlreich ausbreitete. Lange blieb unbekannt, woher Daniel
Schmadtke kam.
Grünwalde war bis zur Preußischen Landreform ein gutsuntertäniges Bauerndorf. Die adelige Herrschaft über Grünwalde gehörte zum Gut Weskeim und dem dortigen Besitzer. Über Weskeim findet man hier weitergehende Information: http://www.genealogie-tagebuch.de/?p=2500 und http://www.genealogie-tagebuch.de/?p=7255
Das Recherchieren in den Kirchenbüchern
von Landsberg nach den Wurzeln in Grünwalde war nicht einfach. Es
gibt Kirchenbuchlücken, die zwar weit vor der Zeit liegen, als
Daniel Schmadtke dort einheiratet, aber ich will ja auch mehr
erfahren über die Familien, die dort schon früher ansässig waren
und mit denen die Schmadtkes in verwandtschaftliche Beziehungen
traten. Als erste fallen mir die vielen Borz oder Bortz auf, von
denen es durch die Jahrhunderte immer schon mehrere Linien in
Grünwalde gegeben hatte. Verwirrend sind die vielen zeitgleich
auftretenden Namensträger Bortz mit identischen Vornamen, die von
den Pfarrern zeitweise mit römischen Ziffern zur Unterscheidung versehen wurden (I, II, III). Aber
welcher gehört wohin? Dann gibt es noch die Binder, Domnick,
Kampowski, Kirstein oder Kerstein, Marienfeld oder Margenfeld, Plehn,
Rautenberg, Schwarz in Grünwalde, um nur die wichtigsten dort ansässigen Familien zu nennen. Die Kirchenbücher
sind zwar seit 1643 überliefert, aber ab ca. 1770 gelingt es kaum,
weiter in die Vergangenheit vorzudringen, weil die Lücken von
1752-75 und von 1658-1713 ein zuverlässiges Anschließen an ältere
Daten nahezu unmöglich machen. Wie auch immer, bis dahin tut sich
ein komplexes Geflecht von vielfältigen Verwandtschaftsverhältnissen
der Bewohner untereinander auf.
Aufgrund der Erbuntertänigkeit
unterlag die Einwohnerschaft von Grünwalde gewissen Einschränkungen,
die eine freiere Wahl von Ehepartnern aus anderen Orten erschwerte.
Grundsätzlich hing eine Eheschließung immer auch vom Einverständnis
der Gutsherrschaft ab. Wenn die zukünftigen Ehepartner aus dem
gleichen Ort kamen, gab es in der Regel keine Probleme. Wenn
tatsächlich eine Braut in einen anderen Gutsbezirk „weggeheiratet“
werden sollte, konnte der Gutsherr als Ersatz für die entgangene
Arbeitskraft Geld verlangen. Man mußte sich oder jemand anderen „freikaufen“, was
sich die wenigsten leisten konnten. Gleichfalls konnte man nicht
einfach abwandern, z.B. in die nahe Stadt Landsberg und dort ein
einträglicheres Gewerbe ausüben. Die Landsberger hätten einen
„Freikaufbrief“ sehen wollen. Daher gab es so gut wie keine
Eheschließungen von freien Bürgern oder Cöllmern und hörigen,
unfreien Bauern. Man blieb deswegen in Grünwalde überwiegend unter
sich und die komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen bildeten für
mich eine echte Herausforderung.
Die Preußische Landreform von 1807
brachte auch in die Verhältnisse von Grünwalde einschneidende
Veränderungen - siehe auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fische_Reformen. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis die Grundsätze der Landreform in Eigentumsübertragungen bei den einzelnen Bauern verwaltungstechnisch ankamen. Für Grünwalde fand ich ein Dokument im Archiv, in dem mit Wirkung zum 1. April 1830 folgenden Bauern ihre Grundstücke eigentümlich übergeben wurden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fische_Reformen. Es dauerte jedoch Jahrzehnte, bis die Grundsätze der Landreform in Eigentumsübertragungen bei den einzelnen Bauern verwaltungstechnisch ankamen. Für Grünwalde fand ich ein Dokument im Archiv, in dem mit Wirkung zum 1. April 1830 folgenden Bauern ihre Grundstücke eigentümlich übergeben wurden:
Gottlieb
Kampowski (4 Hufen), Daniel Borz, Michael Borz, Albrecht Borz jun.,
Friedrich Kampowski, Michael Kaffke, Christian
Marienfeld, Albrecht Borz sen. (jeweils 2¾ Hufen), Gottfried
Marienfeld (1 Hufe), Gottfried Kaffke (1 Hufe), Daniel
Schmadtke , Gottfried Borz, Christian Domnick, Gottlieb Plehn,
Catharina Elisabeth Sommer, Christoph Borz, Adolph
Peitsch, Dorothea verehelichte Friedrich Wulff geborene Schwarz,
Gottlieb Kampowski (jeweils 2¾ Hufen), Johann
Sohn (1 Hufe), Christoph Schwarz (½ Hufe). *)
Im
Jahre 1910 leben 442 Einwohner in Grünwalde. Unter den
Dorfbewohnern: mein Urur-Großvater Rudolf Daniel Schmadtke
(1836-1919), seine Ehefrau Caroline geb. Bortz (1841-1914), deren
viertältester Sohn und Hoferbe Carl Schmadtke (1873-1946), seine
Ehefrau Johanne geb. Weck (1877-1922) mit zwei Kindern – nach 1910
werden noch weitere 3 Kinder geboren.
Unter
Bezugnahme auf meine veröffentlichten genealogischen Daten zu den
bis dahin ermittelten Schmadtkes in Grünwalde meldete sich vor zehn
Jahren Nadine Schmadtke bei mir. Wir stellten fest, wir sind
miteinander verwandt: ich hatte eine Cousine dritten Grades gefunden.
Ihr Urgroßvater Julius Otto Schmadtke (1871-1935) wanderte schon
Ende des 19. Jh. nach Westen ins Ruhrgebiet ab. In ihrer Familie sind
einige Dokumente zur Familienherkunft erhalten geblieben. Daraus
ergab sich, dass Daniel Schmadtke 1790 in Christophsdorf als Sohn des
Bauern George Schmadtke geboren wurde. Diese Information führte auf
die Spur zu der bis dahin unklaren Herkunft der Grünwalder
Schmadtkes.
Wo
liegt Christophsdorf? Bei meinen Recherchen im Internet stieß ich
schon mehrfach auf den Namen Schmadtke und den Ort Christophsdorf,
sah jedoch keine logische Verbindung dahin. Mein Bruder hat über die
Ermittlungen in den Kirchenbüchern berichtet:
Zusammenfassend läßt sich sagen, dass um 1760 Martin und
Christoph Schmadtke in Christophsdorf, im Kirchspiel Muldszen im
nördlichen Kreis Gerdauen, lebten. Sie waren vermutlich Brüder,
haben etwa zeitgleich Kinder bekommen. Unter diesen Kindern wird bei
beiden Vätern im Abstand von wenigen Monaten in den Jahren 1760 und
1761 ein Sohn George getauft. Da die Heiratseinträge mit genauen
Familienangaben im betreffenden Zeitraum fehlen, wissen wir nicht,
welcher dieser beiden Georgs nun unser Urururur-Großvater ist, der
dann später Anna Maria Lutski (Lutzke, Lutzky) heiratet und 1790 den
Daniel als Sohn bekommt. Wie auch immer, es ist unbestreitbar, dass
die beiden ältesten bekannten Namensträger Schmadtke in
Christophsdorf eng miteinenander verwandt waren. Die gegenseitigen
Patenbenennungen bei den Kindstaufen belegen das. Weiterhin läßt
sich sagen, dass bisher alle heute bekannten Namensträger Schmadtke
auf diese ältesten Schmadtkes in Christophsdorf zurückführbar zu
sein scheinen, somit alle aus dem gleichen “Nest” stammen und
miteinander verwandt sein müßten.
Christophsdorf
war seit alter Zeit ebenfalls ein gutsuntertäniges Dorf in
Adelsbesitz, ähnlich wie Grünwalde. In der zweiten Hälfte des 18.
Jh. gehörte es zu den Ländereien im Besitz der Familie
v. Fahrenheid**). Nach den Napoleonischen Kriegen mußte die Familie mehr
als die Hälfte ihres riesigen Landbesitzes verkaufen, um die
Kriegsschäden und Verluste aus Kriegsreparationen auszugleichen. Die
aus einem Kaufmanns- u. Patriziergeschlecht hervorgegangene
Adelsfamilie war jedoch immer noch vermögend genug, auf Schloß
Beynuhnen die bis 1945 bedeutendste private Antiken- und
Kunstsammlung in Preußen zusammenzutragen (siehe auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Uljanowskoje_(Kaliningrad)
und
http://www.ostpreussen.net/ostpreussen/orte.php?bericht=614).
Die erbuntertänigen Bauern von Christophsdorf waren dem Gut Kl. Gnie scharwerkspflichtig.
http://www.ostpreussen.net/ostpreussen/orte.php?bericht=614).
Die erbuntertänigen Bauern von Christophsdorf waren dem Gut Kl. Gnie scharwerkspflichtig.
Leider
gibt es wohl kaum noch zugängliche Quellen, die Aufschluß über
den Ursprung dieser ältesten bekannten SCHMADTKEs geben könnten.
Die Kirchenbücher von Muldszen sind erst ab 1759 überliefert und
reichen nicht weiter zurück. Das Dorf unterstand keiner staatlichen
Verwaltung oder Jurisdiktion, sondern war bis zur Preußischen Landreform in privatem Adelsbesitz.
Daher findet man im Geheimen Staatsarchiv Berlin
(http://www.gsta.spk-berlin.de/)
nicht wie üblich meterweise Akten. Die privaten Adelsarchive
befanden sich in der Regel auf den Gütern und Schlössern und wurden
1945 größtenteils vernichtet. Ob es möglicherweise doch Berichte
in königlichen Verwaltungsakten geben kann über die Ansetzung von
neuen Bauern nach der Pestzeit der Jahre 1709-10, die auf vakanten,
privat-adeligen Bauernstellen landeten, habe ich noch nicht
überprüft.
Nach
Lage der Dinge ist davon auszugehen, dass Martin und Christoph
Schmadtke um 1760 ziemlich jung verheiratet waren. Wenn man ein
Heiratsalter von 25-30 Jahren annimmt, dann dürften sie um 1730-35
geboren worden sein. Für den vermuteten Vater könnte man einen
Geburtsjahrgang um etwa 1700 annehmen. Ein passender Zeitrahmen für
eine Ansiedlung im Rahmen der “Repeublierung”. Ich halte es für
denkbar, dass die Schmadtkes vielleicht um 1730 im Kirchspiel
Muldszen ansässig geworden sein können. Es gab auffällig wenig
Namensträger bis dahin, während sich die Familie in den folgenden
Jahrzehnten stark ausbreitete. Um 1850 gab es allein von George
Schmadtke in Christophsdorf (der andere, der nicht mein
Urururur-Großvater ist) mindestens 10 verschiedene Schmadtke-Familien seiner
Enkel-Generationen im Kirchspiel Muldszen. Das Foto unten soll aus Christophsdorf stammen:
Die
Eingangs erwähnte Familienlegende von Großmutter Ella brachte mich
auf die Idee, nach Spuren in Polen zu suchen. Mit etwas Grundkenntnis
der polnischen Sprache kann man den Namen Schmadtke einfach
polonisieren: SZMATKA. Der Name hat eine Bedeutung, die ins Deutsche
übertragbar ist: kleines Stück von irgend etwas, Stoffrest, Lumpen.
Auf keinen Fall ein Name für hochwohlgeborene Standespersonen. Im heutigen
Polen gibt es diesen Familiennamen noch, wenn auch nur selten,
vorwiegend im Süden des Landes in der Gegend zwischen Rzeszów und
Kraków. Ein Beispiel für das Namensvorkommen - der folgende Link
führt zu einem Nachruf für Professor Jacek Szmatka (1950-2001):
Für
eine tiefergehende Recherche in Polen sind unsere Ausgangsdaten von
den ältesten Christophsdorfer Schmadtkes zu dürftig. Die
Familienlegende könnte aber tatsächlich einen wahren Kern
enthalten. Die polnische Herkunft erscheint aufgrund des Namens
plausibel. Eine irgendwie glänzende oder hochwohlgeborene Abkunft
ist wahrscheinlich dazugedichtet worden, um die Geschichte schöner zu machen.
Bemerkenswert ist, dass Nachkommen der Schmadtkes aus verschiedenen
Zweigen, die sich seit Generationen aus den Augen verloren hatten,
völlig unabhängig voneinander berichteten, dass in der Familie von
einer polnischen Herkunft erzählt wurde.
Ich
gehe davon aus, dass alle heute lebenden Namensträger auf die
ältesten Vorkommen in Christophsdorf zurückgeführt werden können
und somit alle weitläufig miteinander verwandt sind. Derzeit findet
man im Deutschen Telefonbuch 57 Anschlüsse auf den Namen Schmadtke
verzeichnet. 6 davon sind Firmenanschlüsse. Auch wenn man
einkalkuliert, dass nicht mehr alle einen Festnetzanschluss
angemeldet haben, so ist die geringe Verbreitung ein weiteres Indiz
dafür, dass der Name in der heutigen Form erst vor knapp 300 Jahren in Ostpreußen
entstanden ist.
Anmerkungen:
*) 1 Hufe oder Hube enthält 30 Morgen = um 1800 und später ca. 7,5 Hektar.
**) Der Entwickler des Thermometers mit der Fahrenheid-Skalierung Daniel Gabriel Fahrenheid (1686-1736) gehört auch zu diesem Geschlecht.
Alle meine bisher gefundenen SCHMADTKEs findet man online hier:
http://gw.geneanet.org/viktorh_w?lang=de&m=S&n=schmadtke&p=
Ich freue mich wie immer über Anmerkungen, Fragen und kritische Kommentare zu allen hier erwähnten Namen und Sachverhalten.
Alle meine bisher gefundenen SCHMADTKEs findet man online hier:
http://gw.geneanet.org/viktorh_w?lang=de&m=S&n=schmadtke&p=
Ich freue mich wie immer über Anmerkungen, Fragen und kritische Kommentare zu allen hier erwähnten Namen und Sachverhalten.
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