Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Sonntag, 14. Februar 2016

Verbot öffentlicher karnevalistischer Veranstaltungen


Da das Original nicht mehr so gut zu lesen ist, hier die Transkription:
Polizeiverordnung betreffend des Verbots öffentlicher karnevalistischer Veranstaltungen.
Auf Grund der §§6, 12 und 15 des Gesetzes über die Polizeiverordnung vom 11. März 1850 (Gesetzsamml. S.265) sowie der §§137 und 139 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 (Gesetzsamml. S.195) wird mit Zustimmung des Bezirksausschusses für den Umgang des Regierungsbezirkes Königsberg folgende Verordnung erlassen:
§1. Oeffentliche karnevalistische Veranstaltungen aller Art sind verboten. Unter das Verbot fallen insbesondere:
  1. die Veranstaltungen öffentlicher karnevalistischer Umzüge und sonstige karnevalistische Veranstaltungen unter freiem Himmel.
  2. die Veranstaltungen öffentlicher karnevalistischer Aufführungen, öffentlicher karnevalistischer Vorträge und öffentlicher karnevalistischer Tanzlustbarkeiten in geschlossenen Räumen
§2. Verboten ist auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in öffentlichen Lokalen, bei öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen:
  1. das Tragen karnevalistischer Verkleidungen oder Abzeichen jeder Art
  2. das Singen, Spielen und Vortragen karnevalistischer Lieder, Gedichte und Vorträge,
  3. das Werfen von Luftschlangen, Konfetti und dergleichen
§3. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen dieser Verordnung werden mit Geldstrafe bis zu 60 Mk. an deren Stelle, wenn die Geldstrafe nicht beizutreiben ist, entsprechende Haftstrafe tritt, bestraft.
Der Bestrafung unterliegen Veranstalter, Teilnehmer, sowie derjenige, der zu Veranstaltungen der in dieser Verordnung genannten Art auffordert, einlädt, oder sie in seinen der Oeffentlichkeit dienenden Räumen duldet.
§4. Die Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Verkündung in Kraft.

Königsberg, den 11. Dezember 1921
Der Regierungspräsident

Veröffentlicht Pr. Eylau, den 27. Januar 1922
Der Landrat

Aus dem veröffentlichten Text läßt sich folgern, dass die Verbote nicht erst im Jahr 1922 verfügt, sondern auf der Grundlage ältere Gesetze erneut bekräftigt wurden. Man muß wohl annehmen, dass schon seit Mitte des 19. Jh. der Karneval in (Ost-)Preußen verboten war. 
Der religiöse Hintergrund des Karnevals, der Beginn der Fastenzeit vor Ostern, war 1525 mit Übernahme des evangelisch-lutherischen Glaubens im Herzogtum Preußen weggefallen. In Ostpreußen hatten sich andere Traditionen gebildet, die Anlässe für ausgelassenes Feiern boten. Saisonale und regionale Feste und Feiern, geprägt durch bäuerliches Leben, standen im Vordergrund: z.B. Frühlingsfeste und Erntefeste. Regionale Traditionen wie Schützenfeste gaben ebenfalls den Rahmen für ausgelassene Riten. Bestimmte Berufsstände hatten ihre jährlich wiederkehrenden Feiern, die nach feierlich-förmlichem Beginn ziemlich feucht-fröhlich enden konnten. Familienfeste (Hochzeiten) auf dem Dorf haben sich nicht selten zu öffentlichen Lustbarkeiten ausgeweitet, die die Einwohner mehrerer Ortschaften einbezog.

So mag es nachvollziehbar erscheinen, dass man im evangelisch-lutherischen (Ost-)Preußen fremde Traditionen katholischen Hintergrunds mißtrauisch ablehnte.

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