Glockenbesuch in Litauen
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Kirche Thierenberg |
Nach gründlichen Recherchen stellte
sich heraus, dass die in der Kirche von Ramygala in Litauen
befindliche Glocke bis 1945 in der Kirche Thierenberg im Samland
hing. Sie wurde im Jahre 1522 gegossen. Das hohe Alter und der
kulturhistorische Wert bewarten sie vor dem Einschmelzen für
Rüstungszwecke im 1. und 2. Weltkrieg. Die Kirche Thierenberg wurde
1946 von den Russen abgerissen, weil sie einem geplanten
Militärgelände im Weg stand und die Ziegel für Bauprojekte
gebraucht wurden. Ich glaubte daher, die Glocke sei vernichtet
worden. https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Thierenberg
In Medenau, im südwestlichen Samland,
hingen ebenfalls Glocken von Heinrich von Schwichel aus dem Jahre
1521. 1947 versuchten die Russen dort an die Glocken heranzukommen
und legten dazu Feuer im Turm der völlig unversehrten Kirche. Seit
dem ist die Kirche Medenau eine klägliche Ruine und die Glocken
wurden vernichtet. https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Medenau
Grundsätzlich war es so, dass die
Sowjets im eroberten Ostpreußen keine Kirchenglocken mehr vorfanden.
In der Regel mussten während des Krieges alle Glocken für die Kriegsrüstung abgeliefert
werden. Nur ganz wenige, kulturhistorisch besonders bedeutende Glocken
verblieben in den Kirchen. Diese alten Glocken erlitten dann meistens
ein ähnliches Schicksal wie die Glocken von Medenau. Wenn man das Schicksal der Glocken
von Medenau bedenkt, rechnete ich mit keiner weiteren großartigen Entdeckung von Heinrichs Werken.
Die Nachricht aus Litauen über eine
Glocke von Heinrich hat mich daher völlig überrascht. Nach
Überprüfung von Fotos und Vergleichen mit alten
Glockenbeschreibungen war klar: es ist eindeutig eine Glocke von
Heinrich von Schwichel und sie hing früher im Kirchturm von
Thierenberg in der Mitte des westlichen Samlandes.
Im Jahre 1917 musste der
Landeskonservator von Ostpreußen Richard Dethlefsen die Kirchengemeinden, in
denen noch Glocken verblieben waren, auffordern, einen Fragenkatalog
zu den Glocken zu beantworten, anhand dessen beurteilt werden sollte,
welche dieser Glocken noch für den Krieg zu opfern waren. Aus der
Antwort der Gemeinde Thierenberg erschließen sich folgende Angaben:
- die Glocke klingt auf den Ton e
- größter Durchmesser 1,33 Meter
- Höhe ohne Krone 0,94 Meter
- Höhe der Krone 0,25 Meter
- Gewicht über 25 Zentner [also mehr als 12,5 Tonnen]
Nach meinem ersten Besuch bei einer
Glocke von Heinrich im Jahre 2013 im nördlichen Polen, von der ich bis 2017 glaubte, sie
sei die einzige Glocke, die bis heute überdauert hat, lockte nun die
neu entdeckte Glocke in Litauen zu einem Besuch. Nach langen Jahren
der Forschung, in der es darum geht, in alten schwer entzifferbaren
Papieren weiterführende Informationen zu finden, ist es ein ganz
besonderes Erlebnis, durch den Klang einer Glocke über eine
akustische Brücke mit einer so fernen Epoche vor 500 Jahren und
einem faszinierenden Urahn in Verbindung zu treten.
Am 9. August 2018 fuhr ich los in Richtung Polen. Als erstes Übernachtungsziel steuerte ich Olsztyn (Allenstein) an. Am Abend fanden wir eine angenehme Unterkunft an einem See vor Olsztyn. Das Bad im See nach einem heissen Tag mit über 30 Grad war ein erfrischender Genuss. Am nächsten Tag ging es weiter von Olsztyn über Mikołajki (Nikolaiken) und Suwałki bis zur litauischen Grenze und dann weiter über Marijampole nach Kaunas.
Am 9. August 2018 fuhr ich los in Richtung Polen. Als erstes Übernachtungsziel steuerte ich Olsztyn (Allenstein) an. Am Abend fanden wir eine angenehme Unterkunft an einem See vor Olsztyn. Das Bad im See nach einem heissen Tag mit über 30 Grad war ein erfrischender Genuss. Am nächsten Tag ging es weiter von Olsztyn über Mikołajki (Nikolaiken) und Suwałki bis zur litauischen Grenze und dann weiter über Marijampole nach Kaunas.
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Kaunas |
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Kaunas |
Ramygala liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Kaunas. Am Samstag, den 11. August, trafen wir in Ramygala mit anderen Campanologen zusammen. Der Pfarrer der katholischen Kirche begrüßte uns mit einem herzlichen 'Grüß Gott' und geleitete uns in den Turm. Die Glocke wird nicht wie üblich geläutet, indem man die Glocke bewegt. Aufgrund der Größe, des Gewichts und wegen statischer Bedenken bewegt man nur den Schlegel durch eine besondere Mechanik. Der Schlegel ist einerseits für das normale Läuten durch ein über Rollen geführtes Seil zu bewegen. Anderseits ist auch eine Uhr mit dem Glockenschlagwerk verbunden, die mechanisch den Stundenschlag auslöst.
Nach
einer genauen Besichtigung der großen Glocke durfte ich läuten. Ein
machtvoller Ton erfüllte den Turm und ließ alle Aufnahmegeräte
beinahe kollabieren. Ich war tief beeindruckt. Das war nun also eine
zweite akustische Brücke über die Jahrhunderte zu Heinrich von
Schwichel. Es bedurfte vieler Versuche, wie die Glocke anzuschlagen
ist, dass ein voller Ton hörbar wurde, der ohne Verzerrungen und
Übersteuerungen auf das Aufnahmegerät kam. Der größtmögliche
Abstand zwischen Aufnahmegerät und Glocke führte dann zu einem
halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis.
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Kirche Ramygala |
Auch
auf litauischem Gebiet wurden in den Kriegszeiten sehr viele Glocken
für Rüstungszwecke beschlagnahmt. Aus diesem Grunde fehlte in der
Kirche von Ramygala das Geläut und erhielt würdigen Ersatz aus
'Feindesland'. Auf einer Urkunde aus dem Jahr 1947 wird die
feierliche Glockenweihe in Ramygala bestätigt. Wie auch immer, ich
bin glücklich, dass auf diese Weise eine weitere fast 500 Jahre alte
Glocke von Heinrich überlebt hat.
Der
Tag des Glockenbesuch in Ramygala war der erste und einzige nach
langer Zeit (11. August), der etwas kühler (nur 24 Grad) und etwas regnerisch
war. Wir kehrten zurück nach Kaunas, besichtigten die Burg und
bummelten noch einmal durch die lebendige Altstadt. Am folgenden Tag
setzten wir unsere Reise nach Vilnius fort. Wenn man schon mal in
Litauen ist, darf man einen Besuch in Vilnius auf keinen Fall
auslassen. Vilnius bietet eine wunderschöne Altstadt mit einer
unfassbaren Menge an Kirchen jeder Stilepoche und Glaubensrichtung.
Das Wetter war wieder sonnig und strahlend mit erträglichen
Temperaturen.
Dann ging es zurück nach Polen. Wir wollten noch einmal die zuerst entdeckte Glocke von Heinrich besuchen, die im Jahre 1518 für eine Kapelle in Marienthal bei Drengfurth gegossen wurde (heute Kosakowo). Die Kapelle wurde zwar während eines Tatareneinfalls im Schwedisch-Polnischen Erbfolgekrieg 1657 zerstört. Die Glocke blieb auf wundersame Weise erhalten und erhielt einen provisorischen Holzturm, in dem sie heute noch hängt. Am 15. August, dem Tag Mariae Himmelfahrt, haben wir das 500-jährige Jubiläum mit einem Marienläuten gefeiert.
In
den folgenden Tagen erkundete ich noch etliche Schlösser,
Herrenhäuser und Kirchen in der Grenzregion zum russischen Oblast.
In früheren Jahren war das nie ein Problem. Die zunehmenden
Spannungen zwischen West und Ost führen offenbar zu einem strengeren
Grenzregime auf polnischer Seite. Ich wurde von polnischen
Grenzsoldaten kontrolliert und ermahnt, dass ich mich strafbar
mache, wenn ich mich ohne besondere Genehmigung der Grenze nähere
und dort fotografiere. Während der Kontrolle befand ich mich auf dem
ehemaligen Gutshof Heiligenstein, heute Święty Kamień. Mich
interessierte nicht im mindesten die Grenze. Ich war auf den Spuren
kulturhistorischer Überreste. Ich wollte keine Grenzanlagen
ausspionieren. Nach der Kontrolle durfte ich weiterfahren nach
Assaunen und Moltainen, wo mich die Kirchen interessierten. In den
nächsten Tagen folgte dann die Rückfahrt Richtung Berlin.
Hier der Bericht über meinen ersten Glocken-Besuch in Marienthal: https://genealogischenotizen.blogspot.com/2013/10/besuch-bei-einer-alten-glocke.html
Siehe auch:
https://www.facebook.com/vffow/posts/2152802448382371
Hier der Bericht über meinen ersten Glocken-Besuch in Marienthal: https://genealogischenotizen.blogspot.com/2013/10/besuch-bei-einer-alten-glocke.html
Siehe auch:
https://www.facebook.com/vffow/posts/2152802448382371
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Scheunenturm Gut Heiligenstein |
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Kirche Assaunen / Kreis Gerdauen |
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Taufengel Kirche Barten |
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Grabkreuze an der Kirche Lindenau/Kreis Gerdauen |