Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Mittwoch, 23. August 2017

Glocke aus Thierenberg in Litauen wiederentdeckt

Der Kirchort Thierenberg lag so ziemlich in der Mitte des westlichen Samlandes. Ganz im Westen, fast an der Samlandküste, lag Germau, östlich benachbart das Kirchspiel Cumehnen, im Süden das Kirchspiel Medenau und im Norden Heiligenkreutz, Sankt Lorenz und Pobethen. Das findet man bei Wikipedia dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_Thierenberg

Für mich wurde der Ort unter anderem deswegen interessant, weil mein Urahn Heinrich von Schwichel dort 1522 Glocken gegossen hatte. Zumindest eine seiner Glocken hing bis 1945 im Turm der Kirche. 1946 wurden die mittelalterliche Kirche und die Gebäude des Ortes abgetragen, um Baumaterial für andere Zwecke zu gewinnen. Die Glocken galten als verschollen oder vernichtet.

Im Jahr 1917 erließ die königlich preußische Regierung strengere Vorschriften zur Ablieferung von Metallgegegständen für die Kriegsrüstung. Die Pfarrer mussten über die Kirchenglocken genaue Auskunft geben. Nur kunsthistorisch bedeutende Glocken durften hängen bleiben. Alle anderen wurden abmontiert und eingeschmolzen. Auch an vielen Orten im Westen Deutschlands ist das geschehen. In meinem Geburtsort in Holstein hingen bis vor etwa 10 Jahren Eisenglocken aus den 1920er Jahren als Ersatz für die alten Bronzeglocken. Erst vor einigen Jahren hatte die Gemeinde genügend Geld für ordentliche Bronzeglocken beisammen und konnte einen neuen Gießauftrag erteilen.

Der Bericht von 1917 über die Thierenberger Glocken ist erhalten geblieben:
Die Glocke von Heinrich von Schwichel aus dem Jahre 1522 wurde aufgrund dessen vom Landeskonservator unter Schutz gestellt und überlebte den 1. Weltkrieg.






























Kein automatischer Alternativtext verfügbar.
Den Glockenspruch finde ich wegen seiner offensichtlichen Fehler irritierend:

MARGARETHA * NETE * ICK * HINNERIK  * VON  *  SVIGEP * GOT  *  HIK  *  IN  DAT  * IAR  * N  * CCCCC  *  VNDE  *  XXII

Eigentlich müsste der Spruch so lauten:
MARGARETHA HETE ICK HINNERIK VON SVIGEL GOT MIK IN DAT IAR M CCCCC VNDE XXII
oder auf hochdeutsch:
Margaretha heisse ich - Heinrich von Schwichel goss mich in dem Jahr 1522.
Die Buchstaben N und M sowie N und H wurden mehrfach verwechselt. Alle anderen bekannten Glocken von Heinrich waren deutlich korrekter beschriftet. Das G in Svichel finde ich noch hinnehmbar wenn man weiss, dass in Ostpreussen das G meistens weich wie ch oder j gesprochen wurde. Aber das "verunglückte" P am Ende seines Namens, dass eigentlich ein L sein sollte - hat er da einen unkundigen Lehrling rangelassen? Wie auch immer, ich bin begeistert über den Fund, den mir aufmerksame Campanologen aus Litauen übermittelten. 

Heute hängt diese Glocke in Ramygala in Litauen - Info zur Lage des Ortes siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Ramygala 
Das ist der bisher erste und einzige dokumentierte Fall, dass eine Glocke aus Ostpreussen in eine östlichere Region verbracht wurde und dort in einer Kirche wieder als Glocke genutzt wird. Vielleicht gibt es noch mehr ostpreussische Glocken, die in östlicheren Regionen überlebt haben?

Weitere Berichte zu diesem Thema:
http://genealogischenotizen.blogspot.de/2013/10/besuch-bei-einer-alten-glocke.html
(mit einem kurzen Film am Ende, wo man die Glocke hören kann!)
http://genealogischenotizen.blogspot.de/2010/12/glockengieer-heinrich-von-schwichel-ca.html

1 Kommentare:

Anonymous Heinz Ney meinte...

Sehr interessant! Danke für den Beitrag.

2. September 2017 um 15:46  

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