Not- und Hungerjahre in Ostpreußen nach 1815 und ein Vulkanausbruch in Indonesien
Aus verschiedenen Quellen erfahre ich von Notjahren nach 1815: in der Landwirtschaft gibt es Missernten, das Wetter ist ungewöhnlich schlecht, zuviel Kälte und Regen, ungewöhnlich spät einsetzende Frühjahrs- und Tauwetterzeiten, die eine rechtzeitige Aussaat verzögern, zu frühe Wintereinbrüche, die eine Einbringung der bescheidenen Ernte oft verhindern. Die Verwaltungen beklagen Steuerrückstände und eine steigende Zahl von 'Subhastationen' bei Gütern und Höfen, also Zwangsversteigerungen. Schauen wir direkt in einen zeitgenössischen Bericht:
In Osteuropa (geprägt vom Kontinentalklima) und Skandinavien waren dagegen kaum Auswirkungen feststellbar. So stieg in Polen der Getreidepreis von 1815 bis 1817 wegen der verstärkten Exportnachfrage um lediglich ein Viertel.
> Der Bezirk des Amts Grünhoff liegt zwischen den Aemtern Schaacken,
Caporn, Fischhausen, der Ostsee und grenzt an das Kurische Haf.
Der jetzige Nahrungs- und Wirthschafts-Zustand der gedachten
Amts-Einsaßen ist schlecht und sinkt mit jedem Jahre mehr.
Der Grund dürfte in seit mehreren Jahren stattgefundenen
Miswachs-Erndten und hauptsächlich in der allgemeinen Senkung des
Handels-Verkehrs, wodurch die Geldmittel immer weniger werden, zu
finden seyn.
Außer der Fischerey-Nutzung in der Ostsee, welche von den Dörfern
Crantzkuhren, Neukuhren und einigen einzelnen Eigenthümern in
anderen Dörfern betrieben wird, die aber auch keinen ergiebigen
Gewinn liefert, ist das Haupt-Gewerbe der Einsaaßen reiner Akkerbau,
und da dieser, wie erwehnt, seit mehreren Jahren schlecht ausgefallen
ist, und der Handels-Verkehr immer mehr sinkt, so muß die
Dürftigkeit der Einsaaßen mit jedem Jahre fühlbarer werden;
selbige sind jetzt schon in der traurigen Lage, ihre bedeutende
laufende Abgaben nicht entrichten zu können, versinken mit jedem
Jahre tiefer in Schulden und ihre Subsistence wird um so
schwankender, als die Erwerbs-Quellen erschöpft sind und sie keine
Aussicht haben, jemals wieder empor zu kommen.<
Aus: GStAPK, XX. HA, PT 10 Grünhoff (1823), Praestationstabelle des Amtes Grünhoff
Aus der Feder eines nüchternen Verwaltungsbeamten ist dieser Bericht sicherlich nicht als übertrieben zu werten. Im Gegenteil: das klingt alarmierend und dramatisch und steht in starkem Kontrast zu früheren Jahrgängen, wo in den Praestationstabellen überwiegend über gute Erträge und ordentliche Lebensbedingungen berichtet wird. Vor allem im mittleren bis östlichen Samland (Kirchspiele Powunden, Laptau, Rudau, Schaaken, Caymen) ist der Boden recht gut und liefert sehr zufriedenstellende Erträge. Nur gelegentlich wird von Seuchen berichtet, die die Viehbestände dezimieren und es in der Folge auf einigen Höfen an Pferden, Kühen oder Schafe fehlt, was aber nach einigen Jahren wieder ausgeglichen ist. Wenn zu wenig Getreide geerntet wird, wenn nicht genügend Heu für den Winter eingebracht werden kann, dann hungern Menschen und Vieh. Wenn man im Frühjahr das für die Aussaat vorgesehene Getreide für das eigene Überleben im Winter verbraucht hat, steht es sehr schlecht und man muss auf Kredit teuer dazukaufen.
In anderen Gegenden Ostpreußens wird gar von Hungersnöten in den Jahren um 1816 berichtet.
Wenn man diese Berichte in Bezug setzt zu ähnlichen Nachrichten aus anderen Regionen und Weltgegenden, gelangt man zu einem verblüffenden und erschreckenden größeren Bild:
In Mitteleuropa kam es zu schweren Unwettern. Zahlreiche Flüsse (unter anderem der Rhein) traten über die Ufer. In der Schweiz schneite es im Juli bis in tiefe Lagen. Durch die geringere Schneeschmelze
im Vorjahr und die angesammelten zusätzlichen Schneefälle zum Beispiel
in den Alpen führte die Schneeschmelze örtlich zu katastrophalen
Überschwemmungen.
Der Getreidepreis erreichte im Folgejahr (1817) das Anderthalbfache des Niveaus von 1815. Am stärksten betroffen war das Gebiet unmittelbar nördlich der Alpen: Elsass, Deutschschweiz, Baden, Württemberg, Bayern und das österreichische Vorarlberg. Hier erreichte der Getreidepreis im Juni 1817 das Zweieinhalb- bis Dreifache des Niveaus von 1815. An einzelnen abgelegenen Orten wurde auch das Vierfache erreicht.In Osteuropa (geprägt vom Kontinentalklima) und Skandinavien waren dagegen kaum Auswirkungen feststellbar. So stieg in Polen der Getreidepreis von 1815 bis 1817 wegen der verstärkten Exportnachfrage um lediglich ein Viertel.
Wissenschaftler machen dafür den Ausbruch des Vulkans Tambora im April 1815 verantwortlich. Der Vulkan Tambora liegt auf der indonesischen Insel Sumbawa. "Der Vulkanausbruch förderte 160
Kubikkilometer Tephra und hinterließ eine 7 Kilometer große Caldera, als
der Gipfel des Vulkans nach der Eruption einstürzte. An den
unmittelbaren Folgen des Ausbruches starben ca. 12.000 Menschen. An den
Spätfolgen der Eruption starben mindestens 71.000 Menschen. Sie wurden
Opfer des vulkanischen Winters, der 1816 weite Teile von Nordamerika und
Europa im Griff hatte und durch den Ausbruch ausgelöst wurde. Asche und
Schwefelsäure-Aerosole verteilten sich global und ließen die globalen
Durchschnittstemperaturen im Folgejahr der Eruption um 3 °C sinken.
Chaotische Wetterverhältnisse, Missernten und dadurch bedingte
Hungersnöte waren die Folgen. Das Jahr 1816 ging als 'Das Jahr ohne
Sommer' in die Analen der Geschichtsbücher ein."
Obwohl Ostpreußen aufgrund seiner Lage am Rande der osteuropäischen Kontinentalklimazone noch am wenigsten betroffen schien, waren auch dort die Auswirkungen noch deutlich spürbar wie der oben zitierte Bericht belegt.
Bemerkenswert ist, dass es noch jahrzehnte nach dem Vulkanausbruch zu merklichen
Veränderungen im Tageslicht kam. Besonders ausgeprägt war dies abends und
morgens, da die Sonnenstrahlen dann auf ihrem langen Weg durch die
Atmosphäre auf erheblich mehr Partikel stießen, dadurch gestreut wurden
und überwiegend die langwelligen Anteile des Lichtspektrums beim
Betrachter ankamen. Die biedermeierlichen
Sonnenuntergänge in Europa waren von nie dagewesener Pracht – in allen
Schattierungen von Rot, Orange und Violett, gelegentlich auch in Blau-
und Grüntönen. Die grandiosen Abendstimmungen und die intensiven
Erdfarben, Ocker und Gelbtöne von William Turner,
die außerhalb von Landschaften mit entsprechender natürlicher
Farbgebung (etwa der Toskana und der Camargue) fast unwirklich
erschienen, wurden davon sichtlich beeinflusst.
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