Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Samstag, 1. Januar 2011

Die Geschichte meiner Müeslilöffel oder der königlich dänische Gesandte in Paris

Ich möchte das Neue Jahr mit einer heiteren Geschichte beginnen, die eigentlich gar nichts mit dem Forschungsgebiet Ostpreußen zu tun hat, aber den Umstand beleuchtet, wie wir in unserem Alltag unerwartet mit tieferen Ebenen historischer Bezüge in Berührung kommen können, wenn wir denn geneigt sind, die Spuren zu verfolgen, die uns glückliche Zufälle vor die (Spür-)Nase oder vor Augen führen.

Es begab sich eines Sonntags im Herbst des Jahres 2009, daß wir über einen Flohmarkt in Berlin schlenderten. So wie wir das öfter tun, um unserem Bewegungsdrang ein Ziel zu geben, wenn wir Sonntags mit dem Fahrrad durch die dann etwas ruhigeren Straßen der Metropole rollen, um mal Bezirke und Kieze zu erkunden, die man auf den alltäglichen Wegen nicht zu Gesicht bekommt. Völlig unabhängig von Zwängen und Vorgaben, möglichst schnell von A nach B zu kommen, fahren wir dann einfach der Nase nach, halten mal hier und mal da an, wo uns ein Impuls der Neugier die tiefere Erkundung von unbekannten Lokalitäten nahelegt.

So gelangten wir denn an jenem Sonntag im Herbst 2009 auf einen etwas abgelegenen Flohmarkt in Wilmersdorf, eigentlich schon fast Schmargendorf, also jene Dörfer Berlins, in die sich kein Tourist so schnell verirrt. Auf dem Parkplatz vor einem schlichten Flachbau mit einem Supermarkt darinnen und was sonst noch in solchen architektonisch anspruchslosen Ensembles beherbergt zu sein pflegt, also auf dieser sonntäglich verwaisten Freifläche davor stehen dann etliche Reihen mit Flohmarktständen. Bei gutem Wetter drängeln sich Anbieter auch mit einfachen Tapeziertischen vor ihrem Auto auf den Parkplatz und bereichern das Angebot. Man bietet feil, was an Überflüssigem den Haushalt belastet oder was aus der Erbschaft und Haushaltsauflösung von Tante Gerda nicht brauchbar erscheint, oder was man notgedrungen irgendwie entbehren kann, um die Haushaltskasse aufzubessern.

Diese Mélange kann emfindsame Gemüter, die in sich noch ein Gefühl für wahre Schönheit und erhebende Ästhetik hegen, gefährlich verschrecken, wenn der Blick über Berge müffeliger Altkleider, böse in der Sonne funkelndes, grottenhäßliches Kristall oder verkalkte Badenwannenarmaturen schweift. Ein wirklicher Flohmarktjäger darf sich nicht von solch unzeitgemäßen Empfindlichkeiten leiten lassen. Mutig inspiziert er eine Kiste mit teils rostigem, teils schwarz angelaufenem Besteck; beherzt fragt er den grimmig dreinschauenden Anbieter nach den Preisen für die zwar heftig vegilbten, aber wohl noch nie benutzten, schön gewebten Leinengeschirrtücher von außergewöhnlicher Qualität.

An jenem Sonntag im Herbst 2009 fanden wir uns beim Schlendern durch die Reihen der Flohmarktstände unvermittelt vor einem Stand wieder, der sich auffällig abhob von den ansonsten eher chaotisch unordentlichen Sammelsurien alter Überflüssigkeiten. Auf den drei Metern des Flohmarkttisches glänzte in vielen wohlgeordneten Reihen Besteck: Löffel an Löffel, Gabel neben Gabel und dazwischen einige Schalen. Alle Teile waren aus Silber. Nicht nur einfach versilbert, nein, gutes edles Silber mit Halbmond, Krone und 800 gepunzt. Wir nahmen einige Stücke in die Hand, bewunderten das Muster und erwogen kühn, uns zwei von den Löffeln zu gönnen, um unser Frühstücksmüesli stilvoll mit edlem Silber zu genießen. Der Händler ermutigte uns zu dem Kauf, betonte, daß das Muster „Augsburger Faden“ eines der Ältesten und immer noch gebräuchlich sei, so daß man problemlos durch Nachkauf Teile ergänzen könne. Wir wogen verschiedene Löffel in der Hand und fanden zwei, die uns durch ihre massivere Verarbeitung auffielen. Auf der Rückseite waren Wappen eingraviert. Diese Löffel gefielen uns. Eigentlich sollte einer 25 € kosten. Der Händler kam uns entgegen und offerierte bei Abnahme von zweien Mengenrabatt: zusammen 40 €. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, daß auf den ausgewählten Stücken keine Punzen den Silberfeingehalt angaben wie bei den anderen Löffeln. Es gab zwar 5 verschiedene kleine Prägestempel, aber die waren mir und auch dem Händler völlig unbekannt. Er versicherte uns, daß die Löffel garantiert aus massivem Silber seien, ließ auch noch einmal etwas vom Preis nach. Wir wagten den Kauf und investierten 35 Euro trotz der unklaren Qualität. Statt auf sichere Punzen verließen wir uns ganz auf unser ästhetisches Empfinden, auf das Gefühl, wie sie uns in der Hand lagen, die harmonische Balance zwischen Laffe und Löffelstiel, das rätselhafte Wappen, die schwere Ausführung.

Zu Hause putzte ich die Teile gründlich und brachte die Löffel zum Strahlen. Das diskret auf der Rückseite eingravierte Wappen zeigte im Schild einen springenden Windhund, drumherum war einiges an Gerank mit großen Lettern, die keinen lesbaren Zusammenhang erkennen ließen und oben drüber ein Helm mit Federn. Am nächsten Morgen löffelten wir stolz und erhaben unser Müesli damit und begannen hoheitsvoll unser Tagwerk.

Einige Wochen später, unser Silberlöffelmorgenmüesli war schon eine liebgewordenen Tradition, reiste ich nach Holstein, um bei meiner Mutter nach dem Rechten zu sehen, im Garten zu helfen und die letzten sonnigen Herbsttage an der Ostsee zu genießen. Ein Sonntagsspaziergang führte mich vor die Kirche des alten Städtchens, in der ich vor 50 Jahren getauft wurde. Sie war offen und lud zu einer Besichtigung. Ich war neugierig, wie die Kirche nach der letzten Innenrenovierung aussah und ging hinein. In meiner Jugend war ich zwar auch schon an Geschichte und Historie interessiert, hatte mein Interesse aber nie auf das Innere dieser Kirche ausgedehnt. Jetzt schaute ich mir alles ganz genau an, auch die in einem Winkel stehenden steinernen Sarkophage. Darauf entdeckte ich überrascht und verwundert neben vielen anderen Wappen auch den springenden Windhund, den ich von meinen Silberlöffeln kannte.

Wieder zu Hause in Berlin fing ich an im Internet zu suchen: wer hat einen springenden Windhund im Wappen gehabt? Wer hat früher mit meinen Löffeln gegessen? Das muß doch noch rauszufinden sein! Bei meinen Recherchen stieß ich gleich auf mehrere Familien, die sich dieses Wappentier als Erkennungszeichen erwählt hatten. Schließlich gelangte ich in ein spezielles Heraldik-Forum, wo mir Kenner mitteilten, daß es wohl 10 bis 15 Familien mit einem springenden Windhund im Wappen gegeben habe, je nach dem, wie weit man den Radius und den Zeitraum der Ermittlungen faßt.

Wie findet man nun die richtige Familie unter diesen vielen Wappenwindhunden? Jedes Detail wird bedeutsam. Vor allem das, was ich als Unkundiger unklar als Drumherum oder Geranke beschreibe. Genauer betrachtet, erkennt man so etwas wie eine das Wappenschild umrahmende Kette, die aus Buchstaben und Kreuzen besteht mit einem Kreuz unten dran. Hinter dem Wappenschild ragen die Enden eines Kreuzes hervor, die ebenfalls mit Buchstaben versehen sind: RE STI TU TOI. Die letzten 3 Buchstaben sind nicht mehr genau zu erkennen.

Nach der Identifizierung jener seltsdamen Kette als „Danebrog-Orden“ und nach der Durchleuchtung der Geschichte von in Frage kommenden Adelsfamilien fokusierte sich das Interesse auf die holsteinische Familie von Blome, die den springenden Windhund im Wappen trägt. Damit würde sich dann auch die Entdeckung des Wappens auf dem Sarkophag in meiner Taufkirche erklären. Der Danebrog-Orden wurde vom dänischen Königshaus gestiftet und an verdiente Untertanen verliehen. Die v.Blomes machten auch am dänischen Hof Karriere. Gleich mehrere Familienmitglieder trugen den Orden. Und wieder die Frage, wer hat mit meinen Löffeln gespeist? Kann man das heute noch herausfinden?

Nun wurden die unbekannten Punzen wichtig. Es gibt Fachbücher zur Identifizierung von alten Silberpunzen. Kenner halfen mir: das Silber wurde tatsächlich in Paris zwischen 1780-85 hergestellt. Zwar sind die Punzen nicht mehr ganz sauber zu erkennen. Aber durch genauen Vergleich der zwei identischen Löffel lassen sich auch die unklaren Details erschließen. Der Silberfeingehalt dürfte bei 916,5/1000 liegen.

Es gab nur e i n Mitglied der Familie von Blome mit einem Bezug nach Paris in der Zeit der Herstellung meiner Löffel:
Otto v. Blome, * 1735 in Hagen bei Kiel, königlich dänischer Gesandter in Paris 1770 - 1796, Ritter des Danebrog- und des Elephanten-Ordens, 1797-1800 Gesandter in Petersburg, gestorben 1803 in Kiel. Die reich begüterten Blomes waren mit allen alten holsteinischen Adelsfamilien verwandt. Ihre Ursprünge reichen in die Gegend von Hannover. Im Mittelalter wendeten sie sich nach Norden und etablierten sich für Jahrhunderte in Holstein, wo sie später gegraft wurden. Der letzte Namensträger wanderte im 19. Jh. nach Österreich aus, weil er gegen die Vereinnahmung Schleswig-Holsteins durch die Preußen war.

Im Internet habe ich ein sympathisches Bildnis von Otto v.Blome gefunden, siehe links oben. Er soll unverheiratet geblieben sein...

Meine Silberlöffel haben also schon eine beachtliche Geschichte von circa 225 Jahren hinter sich: Diners mit erlauchten Gästen in der königlich dänischen Gesandtschaft in Paris, französische Revolutionswirren, möglicherweise weite Reisen von Paris nach Petersburg und nach Kiel und letztendlich irgendwann auf unklaren Wegen aus Holstein zu einem Berliner Flohmarkthändler.

Unser gesundes Frühstück bekommt mit dieser ungeahnten Löffelhistorie einen Hauch von extravagantem Luxus und Glamour. So adeln wir das mitunter so gewöhnliche Hier und Heute durch den edlen Glanz vergangener Zeiten.



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1 Kommentare:

Anonymous Walter Grunwald meinte...

Eine schöne Geschichte. Der Clou wäre natürlich, wenn Viktor durch eigene Familienforschung feststellt, dass er mit dem Haus Blome verbandelt ist. Aber das gibt es wahrscheinlich nur im Märchen. Trotzdem, Augen auf, das Leben bereitet uns manch schöne Überraschung.

26. November 2011 um 12:31  

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