Genealogische Notizen

Familienforschung kann spannend sein wie ein Kriminalroman. Wir möchten Euch teilhaben lassen an den aufregenden Geschichten, die wir in Kirchenbüchern und Archiven ausgraben. Taucht ein mit uns in vergangene Epochen und rätselhafte Verwicklungen, historische Lebensumstände und die Geschichte einer Region, die es heute so nicht mehr gibt: das frühere Ostpreußen.

Donnerstag, 1. März 2012

Die ältesten samländischen Bauernfamilien - geehrt 1937

Zitat aus: " Königsberger Allgemeine Zeitung, 1. Beiblatt Morgen-Ausgabe 12. März 1937"

Die Ehrung samländischer Bauern
Feier in der Königsberger Universität

Das deutsche Volk ehrt seine tief im Heimatboden verwurzelten Geschlechter. In der neuen Aula der Universität führte am Donnerstag die Landesbauernschaft Ostpreußen eine Ehrungsfeier alteingesessener Bauern- und Landwirtschaftssippen durch. Neben den Angehörigen dieser Familien hatten sich zahlreiche Ehrengäste der Partei und ihrer Gliederungen, der Wehrmacht und der Behörden eingefunden, darunter der Chef des Generalstabes des I. Armeekorps, Oberst  H o l l i d t, Treuhänder der Arbeit  S c h r e i b e r, Landrat Graf von der  S c h u l e n b u r g, SS-Standartenführer  S c h ä f e r, SS-Sturmbannführer  J a c o b s e n, Professor Dr. M i t s c h e r l i c h.

Nach einem Vorspiel des Streichorchesters der 18. SS-Standarte sprach Landeshauptabteilungsleiter I,  B e r g, die Begrüßungsworte. Er wies auf die enge Verbindung zwischen der Königsberger Universität und den alten Bauerngeschlechtern hin. Dem Landesbauernführer wurde ein Ehrenbuch überreicht, in dem die Geschichte und Stammreihe der alten Familien eingetragen wird. Die Vertreter der Familien trugen später handschriftlich ihre Namen ein. Im schlichten Braunhemd marschierten dann die Schüler der Bauernschule Ripkeim auf. Sie brachten das chorische Spiel von Müller-Schnick "Soldaten der Scholle" zu Gehör, das des deutschen Bauern Schicksal durch die Jahrhunderte schildert.

Landesbauernführer  S p i ck s c h e n  schilderte in seiner Ansprache die Geschichte des Bauerntums in Ostpreußen. Hart und tapfer habe sich der Bauer im Samland - von dort ging auch 1525 der Bauernaufstand aus - auf seiner Väter Scholle behauptet. Als Beweis eines unabhängigen Lebenswillens müsse die Tatsache angesehen werden, daß sich allen Kriegsfolgen und Bedrängnissen zum Trotz die Liebe zur Heimat durchsetzte. Ostpreußen sei ein Kolonialland und habe in seinen alten Bauerngeschlechtern, in deren Adern das Blut verschiedener Stämme fließe, eine lebendige Verbindung zum Stammland. Landschaftsweise soll, wie man weiter hörte, die Ehrung der alten Familien in Zukunft erfolgen. Der Landesbauernführer umriß noch die dem Bauern in unserer Zeit und vor allem in Ostpreußen gestellten Aufgaben. Pflug und Schwert, Bauer und Soldat, gehörten gerade hier zusammen. Es gelte einen festen Wall gegen die rote Flut zu bilden und den ostpreußischen Raum mit gesunden Menschen zu füllen.

Namentlich wurden nun die ältesten Sippen aufgerufen. Zu je fünf traten ihre Vertreter vor und empfingen aus der Hand des Landesbauernführers die vom Reichsbauernführer verliehene Urkunde und einen von der Landesbauernschaft Ostpreußen gestifteten Ehrenschild, der neben dem Namen und dem Alter der Sippe noch die Odalrune trägt.

Die Namen der geehrten Familien und das Jahr ihres ersten Vorkommens sind: ´
Porschien, Cobjeiten (1515), Legien, Mogaiten (1527), Kantelberg, Schlakalken (1527), Neumann, Bärwalde (1533), Bombien, Rantau (1569), Gromball, Kösnicken (1600), Dietrich, Cosnehnen (1606), Koeck, Widitten (1606), Nikulka, Neplecken (1616), Bloech, Transsau (1619), Hempel, Cropiens (1621), Homp, Littausdorf (1636), Anker, Neplecken (1644), Krompholz, Diewens (1663), Corinth, Wargienen (1668), Dagott, Paggehnen (1668), Lange, Thulpörschken (1673), Torreck, Neplecken (1675), Frey Cojehnen (1675), Lessel, Gabseiden (1676), Wohlgemuth, Gr.-Ladtkeim (1676), Possienke, Schuditten (1683), Lange, Paggehnen (1687), Trunz, Arissau (1693), Holstein, Drugehnen (1693), Brettschneider, Postnicken (1693), Sohn, Rogahnen (1710), Pluschkell, Rantau (1711), Godau, Cojehnen (1711), Link, Bärwalde (1715), Pustlauk, Augstupönen (1715), Godau, Kotzlauken (1717), Meyer, Wargienen (1720), Braun, Cumehnen (1730), Manske, Sensen (1733), Boehm, Michelau (1733), Vogel, Szillenberg (1734), Peterson, Gr.-Bärwalde (1736).
Darunter ein Foto, untertitelt "Mitglieder alten Bauerngeschlechts erhalten den Ehrenschild" <<

Ich habe diesen nunmehr vor ziemlich genau 75 Jahren erschienenen Zeitungsartikel nicht ganz ohne innere Widerstände abtippen können. Es fällt mir nicht leicht, den Text ganz sachlich mit historischer Distanz zu lesen. Die in den Zeilen deutlich zu Tage tretende gewalttätige Ideologie, die perfide Vereinnahmung von gesellschaftlichen Gruppen, historischen Umständen und genealogischer Forschung lösen selbst heute noch Abwehrreflexe bei mir aus.

Es erscheint aus heutiger Sicht ungeheuerlich, daß die Zeitgenossen unserer Groß- und Urgroßeltern im Sinne dieser Presseverlautbarung gedacht und empfunden haben können. Es erscheint heute schwer vorstellbar, daß Vorfahren sich auf solch einer Veranstaltung feiern ließen - ist aber so geschehen.

Es wäre durchaus denkbar, daß einige der älteren Geehrten zusammenzuckten bei der Benennung "Bauer". Denn, soweit ich das überblicken kann, gehen fast alle der genannten Familienbesitze zurück auf ehedem köllmische Eigentumsrechte. Die Köllmer waren privilegierte Landeigentümer, die früher als Freye bezeichnet, völlig unabhängig, fast wie adelige Gutsbesitzer ihre Höfe bewirtschafteten. Der Begriff "Bauer" hatte in Ostpreußen traditionell die Bedeutung erbuntertäniger Scharwerksbauer, der nur Land bewirtschaftet, welches ihm von adeligen Grundherren oder der Landesherrschaft gegen relativ hohe Abgaben und Dienstpflichten zur Bewirtschaftung überlassen worden ist. Zwar wurden die Bauern ab 1807 durch die Preußische Landreform "befreit". Die feine Unterscheidung hielt sich aber im Umgang bis in die Neuzeit. Der Anteil der sogn. Köllmer war im Samland überdurchschnittlich hoch. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß die prußischen Ureinwohner des Samlandes sehr früh von der Ordensherrschaft als loyale Untertanen anerkannt und durch die Verbriefung ihrer seit alten Zeiten angestammten Besitzprivilegien honoriert wurden.

Richten wir nun den Blick ganz sachlich auf die oben genannten Familiennamen:
Viele davon sind mir bei meinen Forschungen begegnet. Nicht immer sind die oben genannten Angaben stimmig hinsichtlich Alter und/oder Zuordnung des Wohnortes. Oft finden sich noch ältere Wurzeln. Insbesondere zu folgenden der oben genannten Namen kann ich aus meinem umfangreichen Datenbestand detailiert Auskunft geben: Kantelberg, Bombien, Gromball, Dietrich, Bloech, Hempel, Corinth, Trunz, Brettschneider, Sohn, Boehm (Michelau), Peterson (auch Petersohn, nicht nur in Gr.Bärwalde, bereits 1640 in Sielkeim).

Ich freue mich wie immer über Anfragen und Hinweise (ViktorHaupt@aol.com).


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